Edge Computing: Was Datacenter für Stahl­kocher aus­hal­ten müssen

Durch Digi­ta­li­sie­rung und Auto­ma­ti­sie­rung sichert die pro­du­zie­ren­de In­du­strie ihre Wett­be­werbs­fähig­keit. Da die Menge der Daten kon­ti­nu­ier­lich zu­nimmt und auch die An­for­de­run­gen an Hoch­ver­füg­bar­keit und Sicher­heit steigen, mo­der­ni­sie­ren Un­ter­neh­men ihre IT-In­fra­struk­tur di­rekt an den Pro­duktions­standorten.

Die Intelligenz der Industrie 4.0

Von Michael Nicolai, Rittal

In den Fabriken zieht immer mehr IT ein, da Datenströme aus Fertigungsstraßen und von Industrierobotern in Echtzeit verarbeitet werden müssen. Die Lösung besteht darin, die IT-Infrastruktur dezentral durch Edge-Rechenzentren zu erweitern. Gleichzeitig wird die Anforderung nach niedrigen Latenzzeiten erfüllt, die für die Echtzeitverarbeitung von Daten notwendig ist. Anstatt also das zentrale Rechenzentrum in der Firmenzentrale weiter auszubauen, wird zusätzliche Rechenleistung direkt am Ort der Datenerzeugung aufgebaut: durch Edge-Datacenter. Sie sind in der Regel mit Cloud-Rechenzentren verbunden, da dort eine nachgelagerte Verarbeitung stattfindet, beispielsweise für Trendanalysen und Statistiken sowie für die vorausschauende Maschinenwartung (Predictive Maintenance).

Marktanalysten von IDC davon aus, dass im Jahr 2019 bereits 40 % der Daten aus dem Internet der Dinge von Edge-IT-Systemen verarbeitet und analysiert werden könnten. Einer der wichtigsten Treiber hierfür ist der neue 5G-Mobilfunkstandard, der das Datenvolumen im Vergleich zu 4G/LTE nochmals drastisch erhöhen kann. Künftig sind Datenraten von bis zu 10 GBit/s möglich. Vor allem Industrieapplikationen können von den 5G-Eigenschaften hohe Zuverlässigkeit und Echtzeitfähigkeit, mehr Datendurchsatz, geringe Latenz, wesentlich engere Vernetzung, größere Mobilität und IT-Sicherheit profitieren. So eignet sich 5G gerade für alle „mobilen“ Bereiche, ob Roboter und Werkzeuge oder autonome Transportsysteme.

Modulare Bauweise

So unterschiedlich die Standorte von Edge-Systemen sind, so unterschiedlich sind auch die Anforderungen an Dimensionen, Kühlung, physische Sicherheit etc. Aus diesem Grund hat eine ganze Reihe von Marktteilnehmern modulare Edge-Lösungen entwickelt. Sie sind in stabilen Stahlcontainern aufgebaut und mit vorkonfigurierten Komponenten für Kühlung, Brandschutz sowie Notstromversorgung versehen. Stabile Sicherheitstüren inklusive Zugangskontrolle sowie ein detailliertes Monitoring sichern den laufenden Betrieb und schützen vor unbefugtem Zutritt. Vor allem aber ist ein Edge-Rechenzentrum so konzipiert, dass der Kunde es über vorkonfigurierte, standardisierte Module an die benötigte Leistungsfähigkeit anpassen kann. Module für Klimatisierung und Stromversorgung sowie stabile IT-Racks und Sicherheitskomponenten sind bereits aufeinander abgestimmt. Gerade in rauen Produktionsumgebungen sind IT-Schränke mit einer hohen Schutzklasse wie IP 55 notwendig, die die empfindlichen IT-Systeme gegen äußere Einflüsse wie Feuchte, Staub oder Schmutz und unbefugten Zugriff schützen.

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Schwarz auf Weiß
Dieser Beitrag erschien zuerst in unserer Magazin­reihe „Rechen­zentren und Infra­struktur“. Einen Über­blick mit freien Down­load-Links zu sämt­lichen Einzel­heften bekommen Sie online im Presse­zentrum des MittelstandsWiki.

Die technologische Ausführung kann ganz unterschiedlich ausfallen: beispielsweise als einfacher Technikschrank oder auf Basis eines speziell gesicherten IT-Racks, das mit einer zusätzlichen Schutzhülle umgeben ist. Wer mehr Leistung benötigt, realisiert ein leistungsstarkes Edge-Datacenter auf Basis eines modularen RZ-Containers mit wetterfester- und feuerfester Ummantelung. Eine solche Lösung wird in direkter Nähe der Datenerzeugung innerhalb oder außerhalb von Gebäuden aufgestellt und unterstützt bei entsprechender Kühltechnologie eine Leistung von bis zu 35 kW pro IT-Rack.

Zu den generellen Vorteilen von IT-Containern zählen die Stabilität und Sicherheit durch die Verwendung von Stahlwänden sowie die hohe Mobilität der Lösung, die es erlaubt, leistungsfähige Rechenzentren sehr flexibel auf dem Firmengelände oder innerhalb von Fabrikhallen aufzustellen.

Die Stahlindustrie erfindet sich neu

Ein Beispiel für die Digitalisierung der Fertigungsindustrie liefert das Duisburger Unternehmen thyssenkrupp Steel, ein führender Anbieter von Qualitätsflachstahl. Schon im Jahr 2017 installierte das Unternehmen erste IT-Container direkt an den Produktionsstandorten. Diese Container wurden von Rittal konzipiert und im Rahmen einer Partnerschaft kontinuierlich den Bedürfnissen von thyssenkrupp Steel angepasst. Auf diese Weise ist bei thyssenkrupp Steel die Digitalisierung zu einem wesentlichen Teil der Unternehmensstrategie geworden. Die IT-Container werden bei thyssenkrupp Steel direkt auf dem Firmengelände installiert und arbeiten als Edge-Rechenzentren inklusive Cloud-Anbindung. Heute gestaltet das Unternehmen seine Abläufe bereichsübergreifend in End-to-End-Prozessen und verwendet die anfallenden Daten als Grundlage für Entscheidungsfindung und Analysen.

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Produktionsnahe Rechenpower: Mit standardisierten Datacenter-Containern unterstützt Rittal thyssenkrupp Steel bei der Digitalisierung von produktionsnahen Prozessen. (Bild: Rittal)

Kriterien der Konfiguration

Um die Konfiguration eines Edge-Datacenters zu bestimmen, sind eine Reihe von Kriterien zu beachten: So sollten Edge-Systeme schnell und unkompliziert einsetzbar sein, damit sich die Anforderung aus dem Fachbereich nach mehr IT-Leistung überhaupt zeitnah umsetzen lässt. Bewährt haben sich Komplettsysteme, die der Hersteller fertig montiert übergibt. Die Lösung wird anschließend im Plug-and-play-Verfahren an die Energieversorgung und die Netzwerktechnik angeschlossen. Die Kälteversorgung und eine USV für die Notstromversorgung sind typischerweise bereits implementiert.

Des Weiteren sollte der laufende Betrieb automatisiert und weitgehend wartungsfrei erfolgen, sodass die laufenden Kosten niedrig bleiben. Dafür ist ein umfassendes Monitoring notwendig, das die Stromversorgung, die Kühlung sowie eine Branderkennung und -löschung umfasst. Welche Schutzklasse für den physikalischen Schutz letztlich notwendig ist, entscheiden Faktoren wie der Standort oder die benötigte Ausfallsicherheit. Darüber hinaus ist es wichtig, ein Monitoring zu verwenden, das die Überwachung von Gehäuse- bzw. Rack-Türen ebenso umfasst wie von Seitenwänden. Elektronische Türschlösser erleichtern zudem die Auswertung, wann welche Mitarbeiter Zugriff auf die IT hatten. Bei einer Fernwartung oder in Notfällen kann es erforderlich sein, das System komplett herunterzufahren und dafür auch die Stromversorgung zu unterbrechen. Hierfür werden schaltbare PDUs (Power Distribution Unit) benötigt.

Serie: Edge Computing
Teil 1 skizziert, woher der Bedarf an Mikro-Rechenzentren kommt und welche Lösungen sich abzeichnen. Teil 2 geht auf den Markt und stellt plausible Edge-Konzepte vor. Teil 3 berichtet vom Ortstermin bei den ersten Installationen auf Feldebene und jüngsten Entwicklungen. Teil 4 fragt sich, wozu das Ganze gut ist. Und warum der Rand mittendrin im Geschehen liegt. Dazu gibt es noch zwei Extrabeiträge: Der eine sichtet die Optionen einer modularen Bauweise am Edge, der andere kehrt noch einmal zu den RZ-Containern am Straßenrand zurück.

Sicherheit am Edge

Für höchste Sicherheitsansprüche lässt sich ein Edge-Datacenter auch als Raum-in-Raum-Lösung errichten. Eine solche Sicherheitszelle bietet höchsten Schutz bei Bränden und bei starker Umweltbelastung. Außerdem ist im Outdoor-Bereich darauf zu achten, dass die Schutzklasse einen sicheren IT-Betrieb in einem breiten Temperaturfenster unterstützt, beispielsweise von − 20° C bis + 45° C.

Für diese vielfältigen Anforderungen haben Anbieter wie Rittal modulare Konzepte entwickelt. Ähnlich wie bei einem Baukastensystem können Unternehmen daraus die für ihre Anforderung geeignete Lösung zusammenstellen, wobei der Kunde dank Partnerschaften mit Unternehmen wie ABB, HPE, IBM und weiteren alle benötigten Leistungen aus einer Hand erhält. Das Ergebnis ist eine vordefinierte, standardisierte Edge-Komplettlösung, die optional mit aktiven IT-Komponenten und As-a-Service-Leistungen ergänzt und schlüsselfertig geliefert wird.

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Michael Nicolai ist Physiker, Vertriebsleiter IT Deutschland bei Rittal und Mitglied der Jury zum Deutschen Rechenzentrumspreis. Rittal selbst ist mittlerweile nicht nur Systemanbieter für Schaltschränke, Stromverteilung, Klimatisierung, IT-Infrastruktur sowie Software und Service, sondern auch für komplette Infrastrukturlösungen: modulare und energieeffiziente Rechenzentren.


Rittal GmbH & Co. KG, Auf dem Stützelberg, 35745 Herborn, Tel.: 02772-505-0, info@rittal.de, www.rittal.de

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