IT-Labs: Was kluge Köpfe in IT-Labs alles anstellen

Die Experten sind sich nach wie vor un­eins: Be­schleu­ni­gen Un­ter­neh­men In­no­va­tio­nen, in­dem sie extra dafür vor­ge­se­he­ne Funk­tions­einheiten von der her­kömm­li­chen System-IT frei­stellen und tren­nen? Oder etablie­ren sie mit dem Kon­zept gar eine Art Zweiklassen-IT? Bei VW jeden­falls klappt es ganz gut.

Innovationen brauchen Freiräume

Von André Radon, Volkswagen Group

Über Erfolg und Misserfolg der in der Businesswelt inzwischen äußerst populären Bimodal- und Lab-Modelle vertreten ausgewiesene Experten wie die Analystenhäuser Gartner und Forrester verschiedene Standpunkte: Laut Gartner benötigen Unternehmen für den langfristigen Erfolg zwei verschiedene Modi in der IT. Der eine IT-Modus repräsentiert Beständigkeit und Zuverlässigkeit, der andere Innovation und unkonventionelle Wege. Gartner prognostiziert, dass 75 % der IT-Organisationen dieses Modell unmittelbar aufgreifen werden. Der Research-Spezialist Forrester hingegen befürchtet, dass dieser Ansatz einen internen Streit um Ressourcen und Aufmerksamkeit befeuert.

Stete Verbesserung allein reicht nicht

Während Gartner und Forrester über den richtigen Ansatz streiten, lohnt es sich, in die Praxis zu schauen, zum Beispiel zu Volkswagen. Hier stehen weniger die unterschiedlichen Modi einer IT im Fokus, sondern ein ganz deutliches Ziel: Innovation so schnell zu erreichen, wie es der Markt in Zeiten von Digitalisierung und neuen Mobilitätskonzepten verlangt. Diese veränderten Rahmenbedingungen erfordern von allen etablierten Herstellern der Automobilwirtschaft ein weitreichendes Umdenken.

Bisher hatte der Volkswagen-Konzern mit seinen zwölf Marken Innovationsthemen in der IT vielfach über den Weg der kontinuierlichen Verbesserung im Sinne des Qualitätsmanagements etablieren können. Unter den neuen Vorzeichen reicht das allerdings nicht mehr aus: Wer langfristig wettbewerbsfähig bleiben möchte, muss sich erlauben, in einigen Bereichen deutlich unkonventioneller und disruptiver zu denken – und auch zu entwickeln. Diesen Ansatz im Produktionsbereich oder gar im laufenden Betrieb anzusiedeln, ist aus verschiedenen Gründen wenig sinnvoll. Es braucht vielmehr Freiräume und eine besondere Attraktivität für Experten, wie sie in der Linie nur schwer nachhaltig zu schaffen sind. Zu diesem Zweck hat VW eine Reihe von IT-Labs ins Leben gerufen.

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Das Digital Lab in Berlin gehört zu den Ideenschmieden des Volkswagen Konzerns, die an Lösungen für die Mobilität der Zukunft arbeiten. (Bild: Volkswagen AG)

Agile Standorte

In der IT des Volkswagen-Konzerns befassen sich mittlerweile mehrere dieser Labs beispielsweise mit Virtual Engineering und IoT, Machine Learning und KI, Advanced Analytics sowie agiler Softwareentwicklung. Gerade diese Labs ermöglichen Experten, neue Konzepte und Technologien in einem geschützten Raum zu entwickeln – teilweise komplett losgelöst von der Linienorganisation. Das Unternehmen versteht diese Laboratorien als Kompetenzzentren für bestimmte Themen und Technologien. Dementsprechend sind sie auch an ganz verschiedenen Orten der Welt entstanden, so etwa das Digital Lab in Berlin, das Data Lab in München oder das Code Lab in San Francisco.

Von Beginn an war es das Ziel, attraktiv für Experten aus den unterschiedlichsten Kontexten zu sein. In den Labs sind heute zu 100 % dedizierte Experten mit der Entwicklung neuer Technologien, Geschäftsmodelle, Algorithmen und auch neuer Hardware beschäftigt. Neben der Standortwahl zählt aber auch die spezielle Arbeitsweise: Alle Labs sind komplett agil aufgestellt. Beispielsweise setzen die Entwickler in der Mehrzahl der Vorhaben auf Pair- und Test-driven Programming. Darüber hinaus gibt es zwischen den Labs einen kontinuierlichen, intensiven Austausch durch die Rotation von Kollegen oder durch regelmäßige Lab Crunches.

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David Kuri ist VR-Developer bei Volkswagen und arbeitet im Virtual Engineering Lab der Konzern-IT. (Bild: Volkswagen AG)

Diversität und Produktionsnähe

Das Lab-Konzept hat schließlich auch den produktionsnahen Innovationsthemen geholfen, durchaus attraktiv zu sein: In der Vergangenheit schien es oft schwer, IT-Experten für die Konzernzentrale im niedersächsischen Wolfsburg zu begeistern. In Bezug auf die Labs ist diese Regel jetzt praktisch außer Kraft gesetzt. In Wolfsburg stehen das Virtual Engineering Lab für virtuelle Entwicklung und das Smart Production Lab für Industrie-4.0-Themen. In diesen Labs arbeiten heute viele ausgewiesene Spezialisten, die aus völlig anderen Industrien, beispielsweise der Medizintechnik oder der Spieleindustrie, kommen. Diese Experten und Entwickler brennen für ihre Themen und die Technologie und können ihr Engagement hier effizient einbringen.

Neben dem dezentralen Aufteilungsprinzip ist also auch die Nähe zum Produktionsstandort oder Entwicklungszentrum ein wichtiger Schlüssel zum Erfolg des Lab-Konzeptes. Sie erleichtert die Übergabe in die Linie enorm, ermöglicht es aber auch, erfahrene Product Owner aus den nutzenden Fachbereichen zu begeistern und so gleich die richtigen Prioritäten in der Softwareentwicklung einzusteuern.

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Schwarz auf Weiß
Dieser Beitrag erschien zuerst in unserer Heise-Beilage „IT- und Technologie­unternehmen stellen sich vor“. Einen Über­blick mit freien Downl­oad-Links zu sämt­lichen Einzel­heften be­kommen Sie online im Presse­zentrum des MittelstandsWiki.

Fail fast, learn fast

Die Labs der IT von Volkswagen sind in vielen Fällen der Initialfunke für Innovationen. Sie erproben in frühen Phasen mehr oder weniger reife Technologien und bringen sie zum Einsatz, oft auch ohne dass es konkrete Kunden gibt. Aktuell arbeiten die Labs beispielsweise mit Themen wie Blockchain. Das hat Technologien wie Game Engines, IoT-Anwendungen und Data-Analytics-Verfahren erfolgreich in die Serie gebracht. Auf diese Weise sind Prototypen entstanden, die den Fachbereichen verdeutlicht haben, welches Potenzial in den jeweiligen Technologien steckt. Das führte dann schnell zu serienreifen Lösungen. Für das Projekt „Virtuelles Konzept-Fahrzeug“ beispielsweise, das innovative Konzeptfahrzeuge komplett virtuell erlebbar macht, lagen zwischen Prototyp und Serienansatz nur einige wenige Monate.

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Im Digital Lab arbeiten derzeit rund 70 IT-Spezialisten, unter ihnen Programmierer, Data Scientists, Software-Designer und -entwickler. (Bild: Volkswagen AG)

Hand in Hand mit DevOps

Den Proof of Concept (PoC) für diese Art von Projekten erarbeitet ein Projektteam zunächst in einer reinen Lab-Umgebung. Sobald diese Arbeit in Prototypen mündet, übernehmen DevOps-Teams, die aus Kollegen der Labs, der Serienentwicklung und des Serienbetriebs bestehen. Diese entwickeln dann gemeinsam eine betriebsfähige Version 1.0 des Minimum Viable Products (MVP), also eine Produktversion mit minimalen Anforderungen und Eigenschaften. Die Weiterentwicklung läuft dann schon in der Serie, und die Labs widmen sich bereits den nächsten Themen.

Die Schnittstelle zwischen Lab und Linie liegt also bewusst genau zwischen PoC und Prototyp. Auf diese Weise ist in der frühen Innovationsphase eine höhere Schlagzahl möglich, als das im Serienbetrieb der Fall wäre. Sobald reife Use Cases entstanden sind, die zu Prototypen und MVP führen können, nimmt das Projektteam die Serienkollegen mit an Bord. Das hilft Serienrisiken zu minimieren sowie von Anfang an skalier- und leicht betreibbare Produkte zu bauen. Auch wenn dieses Vorgehen unter Umständen den Prozess gefühlt etwas verlangsamt, erhöht es real die Geschwindigkeit der Umsetzung.

Innovationen in Serie

Die Labs der Volkswagen IT sind Kompetenzzentren für zukunftsweisende Technologien. Sie schaffen Freiräume für das schnelle Erproben neuer Technologien wie Virtual Reality oder Blockchain nach dem Prinzip „Fail fast, learn fast“. In der Linie wäre diese Vorgehensweise kaum möglich. Gleichzeitig sind Serienentwicklung und -betrieb im Sinne des DevOps-Gedankens in den Projekten schon früh mit an Bord. Auf diese Weise entstehen mit erhöhter Geschwindigkeit innovative Produkte – und erfüllen damit eine wesentliche Voraussetzung im Zeitalter der Digitalisierung.

André Radon ist Leiter IT Solutions Innovation & Digitalization bei der Volkswagen Group und damit verantwortlich für die IT-Labs Vitual Engineering Lab und Smart Production Lab sowie für die Technologie-Forschung im Umfeld Blockchain, Smart City, Bots und Robotic Process Automation (RPA). Außerdem ist er Business Partner Manager für den Bereich Konzerndigitalisierung.


Volkswagen AG, Berliner Ring 2, 38440 Wolfsburg, Tel.: 05361-9-0, vw@volkswagen.de, www.volkswagenag.com

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