IoT-Ökosysteme: Wo sich offene IoT-Öko­systeme entwickeln

Der anhaltende Digitaltrend zur Ver­netzung bietet kleinen und großen Unter­nehmen gute Chancen, macht es ihnen aber auch fast un­mög­lich, alle Pro­dukte und Dienst­leistungen aus einer Hand zu liefern oder zu be­ziehen. Kein Wunder, dass IoT-Öko­systeme mit gemeinsamer Wertschöpfung der­zeit gut gedeihen.

Mehr Partnerschaft wagen

Von David Schahinian

Die Vernetzung von Dingen ist die Basis des IoT (Internet of Things), doch zählt sie gemeinhin nicht zu den Kernkompetenzen etablierter Unternehmen. Mehr noch, es sind in der Regel so viele Beteiligte involviert, dass sich Einzelkämpfer schwertun, ausgiebige und umfassende Komplettpakete zu schnüren. Kaum eine Organisation kann beispielsweise allein die Netzinfrastruktur, das Cloud-Netzwerk, die Sensortechnik und sinnvolle Anwendungsmöglichkeiten anbieten. Oder, wie es bei Bosch heißt: „No one can do I(o)T alone.“

Seit einiger Zeit ist daher im IoT-Umfeld zu beobachten, was auch schon in anderen Wirtschaftsbereichen Erfolge gezeitigt hat: Ökosysteme. Dabei handelt es sich um reichhaltige, adaptive und widerstandsfähige Geflechte von Organismen, schreibt die Beratung Deloitte in einer aktuellen Studie: „Sie stehen in verschiedenen Wechselbeziehungen – von Symbiose über Kollaboration bis zu Wettbewerb.“ Ein genereller Vorteil von Ökosystemen ist laut Horváth & Partners, dass sich mit ihnen Neuerungen gemeinsam mit strategischen Partnern realisieren lassen. In der Regel steht dabei ein führendes Unternehmen im Mittelpunkt, das die entsprechende Plattform bereitstellt. Die Akteure bringen ihre spezifischen Fähigkeiten und Ressourcen in das ganzheitliche Angebot ein.

Die Qual der Wahl

Offene Ökosysteme gehen noch einen Schritt weiter: Ihre Schnittstellen gewährleisten im Prinzip jedem beliebigen Anbieter Zugang zur Plattform, damit er die eigenen Ziele verwirklichen kann. Gleichzeitig tragen sie zum Erfolg des großen Ganzen bei. „Offene IoT-Ökosysteme bieten vor allem kleineren Unternehmen einen wesentlichen Vorteil“, hebt Paul Martin Halm, Head of Product Management beim IoT-Anbieter Device Insight, hervor. Sie könnten ihre IoT-Strategien auf Basis bestehender Standards mit deutlich geringerem Aufwand, also schneller und kostengünstiger, umsetzen, als dies bei kompletten Eigenentwicklungen der Fall wäre.

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Schwarz auf Weiß
Dieser Beitrag erschien zuerst in unserer Heise-Beilage „IT- und Technologie­unternehmen stellen sich vor“. Einen Über­blick mit freien Downl­oad-Links zu sämt­lichen Einzel­heften be­kommen Sie online im Presse­zentrum des MittelstandsWiki.

Die Automobilbranche ist auf den ersten Blick besonders prädestiniert für IoT-Ökosysteme. Schließlich sind beispielsweise intelligente Verkehrsleitsysteme oder das autonome Fahren ohne das komplexe Zusammenspiel verschiedenster Sensoren und Systeme gar nicht denkbar. Und doch scheinen die Autobauer noch zögerlich zu sein. Tatsächlich werden sie hinsichtlich neuer Entwicklungen wie der Elektrifizierung, In-Car Digital Experiences oder eben IoT oftmals von Tech-Giganten wie Google in den Schatten gestellt, hat eine Untersuchung von Bearing Point herausgefunden. Sie müssten starke Partnerschaften eingehen, um die Vorherrschaft über das Armaturenbrett und die Einnahmen zu verteidigen. Allein, mehr als die Hälfte der 90 befragten Führungskräfte aus Automobilunternehmen glaubte, diesen Kampf alleine gewinnen zu können. Darüber hinaus sei ihre gesamte Technologie vielfach noch auf den eigenen Wirkungskreis ihres Unternehmens anstatt auf breite, externe Ökosysteme ausgerichtet.

Doch nicht nur die Autoindustrie muss sich bewegen. Bereits 2017 hatte eine Studie des Verbands der Internetwirtschaft eco und der Beratung Arthur D. Little gezeigt, dass sich IIoT-Lösungen (Industrial Internet of Things) aus rund 30 Kompetenzen zusammensetzen. Industrieübergreifende Kooperationen seien daher eine „Grundvoraussetzung“, um für Kunden relevante Services anbieten zu können. Entscheidend für diese Entwicklung sei der sichere Austausch der von den Teilnehmern der Ökosysteme geteilten Datenmengen: „Daher bedarf es vollumfänglicher Security-Konzepte, um auftretende Sicherheitslücken im Kommunikationssystem zu vermeiden sowie Ferngriffe auf das Produktionssystem zu kontrollieren.“

Angst vor Kontrollverlust?

Vielleicht ist auch die Gretchenfrage, die sich bei Ökosystemen unweigerlich stellt, schuld am Zögern mancher Manager. Sie lautet: Wie viel Wertschöpfung muss man aus der Hand geben? Dazu muss zunächst das Rollenverständnis deutlich sein. Angelehnt an eine 1999 von Unternehmensberater Dieter Heuskel ersonnene Systematik unterscheidet die Deloitte-Studie vier strategische Positionierungen. Dazu zählen

  • der Integrator, der die Wertschöpfungskette beherrscht, und
  • der Layer Player, der als Spezialist eine spezifische Dienstleistung in mehreren Wertschöpfungsketten oder Ökosystemen bereitstellt. Ferner
  • der Market Maker, der ein neues Wertkettenglied einfügt und so neue Kombinationsmöglichkeiten von Wertschöpfungsketten ermöglicht.
  • Der Orchestrator wählt anhand der Wertschöpfungskette die Aktivitäten aus, die wertschöpfend sind und die den Kernkompetenzen des eigenen Unternehmens entsprechen.

Sonstige Aktivitäten übernehmen andere Teilnehmer des Ökosystems.

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Schematische Darstellung: Die unterschiedlichen Wertschöpfungsmodelle in Ökosystemen (Bild: Deloitte)

Faustregeln gibt es dabei nicht, betont Stefan Ferber, CEO von Bosch Software Innovations. Das Unternehmen ist unter anderem strategisches Mitglied der Eclipse Foundation mit ihrer Open-Source-Community Eclipse IoT. Die oben gestellte Gretchenfrage widerspreche dem offenen Ansatz von solchen Ökosystemen, da eine beispielhafte Wertschöpfung in der Eclipse IoT Working Group erst in bzw. durch die Community erfolge: „Hier wird gemeinsam, schneller und mit wesentlich höherer Qualität entwickelt als ‚alleine‘ im eigenen Firmenkontext.“ Zudem biete Open-Source-Engagement noch einen weiteren Vorteil, der vor allem auf den Aspekt „Schnelligkeit“ der Wertschöpfung einzahle: „Klare Regeln für den Umgang mit Intellectual Property, Lizenzierung und Entscheidungen machen es Unternehmen auch (kartell-)rechtlich leicht, in einem Open-Source-Software-Kontext transparent zusammenzuarbeiten.“

Mit der Bosch IoT Suite betreibt das Unternehmen eine eigene IoT-Plattform für sich und seine Kunden: 8,5 Millionen Sensoren, Geräte und Maschinen sind darüber mittlerweile mit Nutzern und Unternehmensanwendungen vernetzt. „Um diese Plattform zu entwickeln, hatte Bosch drei Möglichkeiten“, so Stefan Ferber. Die erste war, eine eigene proprietäre zu bauen. Die zweite, die Plattform eines anderen Anbieters zu verwenden. Und drittens: eine IoT-Plattform mit der Open-Source-Community zu entwickeln. „Wir haben uns im Rahmen der Eclipse IoT Working Group für Letzteres entschieden, auch deswegen, weil unsere Kunden und wir nicht von Drittanbietern abhängig sein wollen.“ Der Schritt erleichtere auch die Zusammenarbeit mit weiteren Ökosystem-Playern, die sich ebenfalls in der Eclipse Foundation engagieren. Ferber nennt einen weiteren Pluspunkt: „In Open Source Communities steht Code kostenlos, uneingeschränkt und transparent zur Verfügung.“

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Im Mai 2019 konnte Bosch vermelden, dass nun eine runde Summe von Datenendpunkten in der Bosch IoT Suite vernetzt sei: 10.000.000 einzelne Datenquellen/Aktoren aus über 250 IoT-Projekten. Allein von 2018 auf 2019 sei die Menge um rund 20 % gewachsen. (Bild: Bosch)

Ressourcen besser nutzen

Auch Paul Martin Halm von Device Insight will und kann die Frage nach dem Umfang der Wertschöpfung nicht pauschal beantworten. „Mein Rat an Unternehmen ist: Konzentriere dich auf den Aspekt der Wertschöpfung, in dem du als Unternehmen als Experte giltst.“ Man könne beispielsweise eine spezielle Optimierungsapplikation in den App Store eines IoT-Ökosystems einbringen, statt sich mit viel Aufwand selbst um Themen wie Datenspeicherung und Connectivity kümmern zu müssen: „So ist man natürlich nur an einem Teil der Wertschöpfung beteiligt, kann aber seine eigenen Ressourcen wesentlich besser nutzen.“ Darüber hinaus würden Geschäftsmodelle, die auf der Bereitstellung von Daten und Erkenntnissen aufbauen, durch Ökosysteme beflügelt, da ein Markt zum Austausch der Daten entstehen kann. In einer geschlossenen Plattform sei das nicht möglich.

Ericsson führt weitere triftige Gründe ins Feld, warum es offene IoT-Ökosysteme unterstützt und sich daran beteiligt: Das heutige fragmentierte Ökosystem aus Standards, Geräten und Diensten verlangsame die Bereitstellung von IoT in Unternehmen. Die Implementierungen konzentrierten sich in erster Linie auf Einzelanwendungen, oder sie seien an einen einzelnen Standard gebunden. Die Strategie von Ericsson sei es daher, „offene IoT-Ökosysteme mit unserem zellulären Wissen und unseren Fähigkeiten zu unterstützen und zu nutzen, um das IoT für alle Beteiligten einfach anwendbar zu machen“.

Kooperation statt Integration

Es gibt noch weitere Möglichkeiten für Unternehmen, sich dem Markt zu nähern. Eine zunehmend beliebte für Konzerne ist, sich an Start-ups zu beteiligen. In einer Studie der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin und des Bundesverbands Deutsche Startups zeigte sich, dass seit 2015 ein klarer Aufwärtstrend bei der Zusammenarbeit zwischen DAX-Unternehmen und Start-ups zu erkennen ist. Die meisten DAX-Unternehmen beteiligen sich an Start-ups. Lediglich 12 % akquirieren sie, 6 % arbeiten in einer Kooperation zusammen. Das mag unter anderem am Willen der Großen liegen, mehr Einfluss zu bekommen oder zu bewahren. Es gibt jedoch auch gute Gründe, zurückhaltender zu bleiben. Christopher Rheidt, Geschäftsführer von Triumph-Adler, nannte im Gespräch mit gruenderszene.de einen davon. Beteiligungen oder Investments strebe man nicht an, „weil die kulturellen Unterschiede einfach zu groß sind“. Zudem bestehe bei einer Integration die Gefahr, dass die Kultur der Start-ups zerstört werde.

Eine Auffassung, die Paul Martin Halm teilt: Wie viel Mehrwert eine Beteiligung oder ein Zukauf von Start-ups auf lange Sicht bringt, hänge sehr stark vom Setup der Zusammenarbeit ab. Es entstünden derzeit viele IoT-Start-ups, die sich mit guten Ideen beschäftigen. Große Unternehmen sondierten diese Ideen und sorgten mit strategischen Zukäufen für eine gewisse Konsolidierung im IoT-Markt. „Aus Sicht eines großen Unternehmens ist es sicherlich Erfolg versprechend, sich an erfolgreichen Start-ups zu beteiligen und somit gute Ideen und Köpfe für die eigene Digitalisierungsagenda zu gewinnen“, sagt er. Und ergänzt: „Zugleich dürfen sie nicht den Fehler begehen, Start-ups in die eigene Konzernstruktur integrieren zu wollen. Dafür sind die Strukturen, Kulturen und Arbeitsweisen zu unterschiedlich.“

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Bosch hat 2019 noch einmal nachgelegt: mit weiteren 200 Millionen Euro Wagniskapital für Investitionen in Start-ups. Zum Portfolio der Robert Bosch Venture Capital GmbH gehören bereits die KI-Start-ups DeepMap, Graphcore und Syntiant. Das in Palo Alto (Kalifornien) ansässige DeepMap ist auf maschinenlesbare Echtzeitkarten spezialisiert (Bild); dies sei „eine Schlüsseltechnologie für die Sicherheit beim autonomen Fahren“, sagte RBCV-Geschäftsführer Ingo Rahmesohl der WirtschaftsWoche.

In Partnerschaft investieren

Für Bosch sei die Zusammenarbeit mit Start-ups ein wichtiger Eckpfeiler, um die Umsetzung der IoT-Strategie voranzutreiben, betont Stefan Ferber. Erst im Februar 2019 hatte das Unternehmen angekündigt, sein Investitionsvolumen über einen Fonds der Robert Bosch Venture Capital in externe Start-ups auf 200 Millionen Euro aufzustocken. Die Zusammenarbeit mit den Jungunternehmen beschränke sich dabei nicht auf die reine Investition, sondern auf eine „partnerschaftliche Kooperation in Open-Innovation-Projekte, die die Innovationskraft von Bosch stärkt“.

„Voraussetzung für ein funktionierendes Ökosystem ist, dass sich die Zusammenarbeit der Konkurrenten und Partner innerhalb und außerhalb von Branchengrenzen verändert“, schreibt Deloitte in seiner Mittelstandsstudie. Tatsächlich ist die Vernetzung oftmals weniger eine Frage der Technik, sondern des Umgangs miteinander.

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David Schahinian arbeitet als freier Journalist für Tageszeitungen, Fachverlage, Verbände und Unternehmen. Nach Banklehre und Studium der Germanistik und Anglistik war er zunächst in der Software-Branche und der Medienanalyse tätig. Seit 2010 ist er Freiberufler und schätzt daran besonders, Themen unvoreingenommen, en détail und aus verschiedenen Blickwinkeln ergründen zu können. Schwerpunkte im IT-Bereich sind Personalthemen und Zukunftstechnologien.

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