Business Cases aus der Forschung
Von Ariane Rüdiger
Wie baue ich mit einer Idee rund um die Analyse von Daten mittels künstlicher Intelligenz oder maschinellem Lernen ein Business auf? In allen Fragen rund um dieses Thema berät appliedAI Münchner Start-ups. Die Initiative gehört zu UnternehmerTUM, einem der größten Innovationszentren Europas, gelegen in Garching bei München nahe beim LRZ (Leibniz-Rechenzentrum), dem Hochleistungsrechenzentrum der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Daher darf es nicht verwundern, dass sich München zu einem Hotspot von KI-Neugründungen entwickelt hat. Schließlich stehen Gründungswilligen reichlich Know-how und Beratung zur Verfügung, was in Deutschland nicht unbedingt überall der Fall ist.
Acht clevere KI-Start-ups
Die folgenden Beispiele zeigen, welche KI-Ideen die Münchner Start-ups ausbrüten.
Die virtuelle Ankleide
Presize hat z.B. eine Lösung entwickelt, mit deren Hilfe Anwender aus einem sieben Sekunden langen Smartphonevideo von sich selbst ein 3D-Modell ihres Körpers generieren können: Wer auf ein Modell von sich erzeugen will, zieht eng sitzende Kleidung an, bittet jemand anderen um die Filmaufnahme und dreht sich dabei einmal um sich selbst.
Shops oder Hersteller, die teilnehmen wollen, schicken Daten zu den von ihnen vertriebenen Modellen ein – wie Presize schreibt, dürfen diese Daten durchaus unsauber oder unvollständig sein. Nutzer, die Kleidung kaufen wollen, deren Händler oder Hersteller im System sind, sehen sich dann selbst im gewünschten Kleidungsstück auf dem Bildschirm. Das patentierte Modellgenerierungsverfahren ersetzt laut Presize bisherige Methoden, für die man Hardware im Wert vieler tausend Euro benötigen würde.
Der automatische Zimmerservice
Ansonsten sind vor allem clevere Roboter ein beliebtes Betätigungsgebiet von Neugründungen. Ein Beispiel dafür ist Robotise, gegründet im Herbst 2015. Das Start-up hat sich auf den Bau von autonomen Robotern für den Einsatz zu Hause und in Beherbergungsbetrieben spezialisiert. Dabei hat das junge Unternehmen darauf verzichtet, die Geräte menschenähnlich zu gestalten, sondern ihnen ein betont funktionales Aussehen verpasst: Jeeves – benannt nach dem hochintelligenten Butler aus den Erzählungen von P. G. Wodehouse und Gewinner des Red-Dot-Design-Awards 2019 – ist halbhoch, hat abgerundete Kanten, Räder und auf der angeschrägten Oberfläche eine 21-Zoll-Touch-Bedieneroberfläche.
In dem Gerät befinden sich diverse Schubladen, aus denen Anwender die gewünschten Dinge entnehmen können. Beispielsweise könnten Hotelgästen damit ohne Personalaufwand Getränke, Snacks oder Zeitungen aufs Zimmer geliefert werden. Im Haushalt könnte Jeeves als autonom mobiles Tablett dienen oder selbsttätig Vorräte aus der Speisekammer herbeischaffen – Treppensteigen kann der KI-Butler allerdings nicht. Robotise fokussiert auf Nutzerfreundlichkeit und Haltbarkeit. Für die Oberfläche verwendet das Start-up beispielsweise ein besonders robustes Material, das auch für Motorradhelme verwendet wird. Der Aufbau ist modular, sodass sich verschiedene Ausstattungen bauen lassen, ohne dass man das Grundsystem verändern müsste. Einzelne Komponenten lassen sich per Plug-and-play auswechseln.
Momentan dreht sich alles um ChatGTP. Für die Zeit davor gibt eine Einführung einen ersten Überblick über den Stand der Technologien, die Fortsetzungen skizzieren praktische Einsatzgebiete für KI, insbesondere in der Industrie. Für den Lebenslauf könnten die Ratgeber zur KI-Studienstrategie bzw. zum KI-Studium (auch in Kombination mit Robotik) sowie zum Berufsbild Machine Learning Engineer und zum KI-Manager nützlich sein – aber auch die Übersicht zu den Jobs, die KI wohl ersetzen wird.
Extrabeiträge untersuchen, wie erfolgreich Computer Computer hacken, ob und wann Vorbehalte gegen KI begründet sind und warum deshalb die Erklärbarkeit der Ergebnisse (Stichwort: Explainable AI bzw. Erklärbare KI) so wichtig ist. Hierher gehört außerdem der Seitenblick auf Maschinenethik und Münchhausen-Maschinen. Als weitere Aspekte beleuchten wir das Verhältnis von KI und Vorratsdatenspeicherung sowie die Rolle von KI in der IT-Sicherheit (KI-Security), fragen nach, wie Versicherungen mit künstlicher Intelligenz funktionieren, hören uns bei den Münchner KI-Start-ups um und sehen nach, was das AIR-Projekt in Regensburg vorhat. Ein Abstecher führt außerdem zu KI-Unternehmen in Österreich.
Auf der rein technischen Seite gibt es Berichte zu den speziellen Anforderungen an AI Storage und Speicherkonzepte bzw. generell an die IT-Infrastruktur für KI-Anwendungen. Außerdem erklären wir, was es mit AIOps auf sich hat, und im Pressezentrum des MittelstandsWiki gibt es außerdem die komplette KI-Strecke aus dem Heise-Sonderheft c’t innovate 2020 als freies PDF zum Download.
Die kardiologische KI
Zu den wichtigsten Todesursachen weltweit, insbesondere in Industrieländern, gehören Herzerkrankungen. Laralab hat darum ein KI-basiertes System zur Diagnose und Behandlung akuter Herzerkrankungen entwickelt, das demnächst erhältlich sein soll. Die Lösung erledigt alle Aufgaben, von der Datenverarbeitung bis hin zur KI-gestützten Analyse.
Am System entsteht dann ein individuelles, hochaufgelöstes Bild des Herzens mit allen seinen Strukturen. Diese Strukturen werden ins Verhältnis zu verfügbaren Implantaten wir Herzklappen oder Stents gesetzt, sodass patientenindividuell die beste Wahl getroffen werden kann. Bei Operationen weist das System automatisch auf mögliche Risiken für den betreffenden Patienten sowie auf denkbare Abhilfen hin. Das erhöht die Sicherheit des Eingriffs und kann die OP- und Pflegekosten senken.
Ausgründungen aus der Wissenschaft werden von Bundesländern und Hochschulen systematisch forciert. Erste Schwerpunktbeiträge im MittelstandsWiki widmen sich den Scientepreneuren in Bayern und Baden-Württemberg, speziell den KI-Start-ups rund um die TU München; danach geht die Forschungsreise Richtung Nordrhein-Westfalen. Weitere Reports zu diesem Thema sind bereits in Vorbereitung.
Der misstrauische Geldtransfer
Eine Lösung, die Hawk AI entwickelt hat, soll Geldwäscheversuche enttarnen. Im Januar benannte die Wirtschaftswoche das 2018 gegründete FinTech-Unternehmen der Gründer Tobias Schweiger und Wolfgang Berner zum Start-up der Woche. Finanzkriminalität wird bei Hawk AI anhand von Verhaltensmustern identifiziert, die mit einer stetig wachsenden Datenbank bereits klassifizierter Transaktionen abgeglichen werden. Anomalien werden dabei als Hinweis auf unrechtmäßiges Verhalten gewertet. Dabei lernt das System aus den Entscheidungen der Mitarbeiter in früheren Fällen.
Die Grunddaten liefert eine Analyse aller aufgezeichneten Transaktionen, angereichert durch Daten zu geltenden Regeln und andere Informationsquellen. Alle Entscheidungen des Systems werden so dokumentiert, dass sie den geltenden Anforderungen an Nachweisbarkeit und Nachvollziehbarkeit entsprechen. Der Case Manager der Applikation unterstützt das Personal, indem er Aktionen empfiehlt, die mit einfachem Mausklick bestätigt werden können.
Die bionische Simulation
Das Start-up Hyperganic ist ein Kind der 3D-Druck-Revolution. Die evolutionären Algorithmen, die Hyperganic verwendet, führen zur Entwicklung komplexer dreidimensionaler Strukturen, die sich an bekanntlich häufig sehr materialeffektive biologische Strukturen anlehnen, elegant aussehen und trotzdem funktional sind. Sie werden dann auf dem 3D-Drucker produziert. Diese Technologie macht die bisher üblichen CAD-Modelle, die man bei der dreidimensionalen Entwicklung verwendet, komplett überflüssig.
Stattdessen nähert sie sich durch die komplette Abbildung des Entwurfs in Software und Hunderte automatisch generierter Varianten, deren Tauglichkeit jeweils sofort durch physische Simulation getestet wird, der optimalen Form für den gegebenen Zweck. Weil auch die Materialdichte innerhalb des Objekts je nach der Belastung modifiziert werden kann, lassen sich auf diese Weise Entwürfe realisieren, die leichter, stabiler sowie material- und energieeffizienter sind als bisherige Designs.
Dieser Fahrradhelm mit seinem ungewöhnlichen Zweischichtendesign ist nach der evolutionär-algorithmischen Methode von Hyperganic entstanden. (Bild: Hyperganic)
Der intelligente Batteriezwilling
Batterien werden ein Kernstück der geplanten autonomen Mobilität sein. Gleichzeitig sind die dafür notwendigen Rohstoffe kostbar und knapp. Daher ist ein sinnvolles Batteriemanagement umso wichtiger. Genau das ist das Ziel des 2018 gegründeten Start-ups Twaice. Inzwischen konnte das junge Unternehmen bereits zweimal Finanzierungen einwerben.
Die Gründer, Dr. Stephan Rohr und Michael Baumann, beschäftigen sich seit 2014 wissenschaftlich mit der Lebensdauer und dem Verhalten von Batterien. Dazu benutzt das Unternehmen Digital-Twin-Technologie. Sie greift auf vor Ort ständig erhobene Daten zurück, verwendet zudem für die Analysen die stets aktualisierte Modellbibliothek und andere Daten zu den verwendeten Batterien. Die Analyse selbst reicht bis auf Zellebene, dabei reduzieren die verwendeten Algorithmen das Datenvolumen auf 0,002 %, was den Speicherbedarf und die Transportbandbreite sowie -zeit verringert und gleichzeitig die Analyse beschleunigt.
Im Batterielabor von Twaice kann das Münchner Start-up am digitalen Zwilling genau verfolgen, wie sich Batterien verhalten. (Bild: Twaice Technologies)
Im Ergebnis liefert das System in Echtzeit Informationen zu Alterung und zu Betriebsparametern, die die Lebensdauer der betreffenden Batterien optimieren können. Zudem können so unerwartete Ausfälle von Fahrzeugen im Vorfeld verhindert werden. Gedacht ist die Lösung vor allem für E-Flottenbetreiber.
Das künstliche Adlerauge
Bei Recogni geht es um visuelle Intelligenz für das Edge, also bei Rechenleistung, die „am Netzwerkrand“ abseits der großen Datacenter und in der Nähe der Anwendungen selbst stattfinden muss. Zum Beispiel, wieder einmal, bei autonomen Fahrzeugen. Diese müssen bei höheren Graden des autonomen Fahrens optische Eindrücke echtzeitnah verarbeiten, wenn Unfälle vermieden werden sollen.
Das Start-up Recogni beansprucht für sein System ein um Längen besseres Auflösungsvermögen als es bisherige Lösungen bieten. Es erkennt Gegenstände in der Größe 20 × 20 cm noch aus 300 m Entfernung, braucht für die Berechnung von 1 TeraFLOPS auf dem Chip nur 5 W. Ein Chip schafft bis zu 1 PetaOPS. Der Gesamtverbrauch des Systems liegt bei nur 12 W, weshalb es lediglich passiv gekühlt werden muss.
Im Kern steckt ein Spezialprozessor, der die Inferenzaufgaben übernimmt und so die Wahrnehmungen der Kamera verarbeitet. Drei Bildsensoren (Infrarot, RGB, monochrom) sind integriert, dazu kommt eine Schnittstelle zu einem externen Lidar- oder Radarsystem. Recogni schafft eine Berechnungseffizienz von 75 %, was im Vergleich zu anderen Lösungen der Bilderkennung sehr viel ist. Gegründet wurde das Unternehmen 2017, zu den Finanziers gehören BMW, Toyota und Osram.
Die lernende Orientierung
Einen anderen Ansatz verfolgt hier Artisense. Damit die Navigation von Fahrzeugen auch in Umgebungen ohne GPS zuverlässig und in Echtzeit funktioniert, hat dieses Start-up ein neuartiges VINS (Visual-Inertial Navigation System) entwickelt, das nicht nur GPS-Daten verwendet – zusätzlich wird eine drehbare Kamera auf dem Dach des Fahrzeugs montiert, es werden außerdem weitere Sensordaten und die Integrierte Management Unit einbezogen, sodass Artisens in jeder Umgebung sofort die Fahrzeugposition finden kann.
Das System ermittelt nicht nur Länge, Breite und Höhe, sondern auch die räumliche Orientierung mit einer Abweichung von ± 6 Grad. Damit das VINS dies kann, arbeiten die Deep-Learning-Algorithmen licht- und wetterunabhängig.