Next Level Tourism: Wie das Gastgewerbe um die Kundendaten kämpft

In Österreichs Wirt­schaft spielt der Touris­mus eine zentrale Rolle. Von Winter­sport, Wander­urlaub und Wein­verkostung pro­fitieren aber nicht nur die An­bieter im Lande, son­dern die Platt­formen der inter­natio­nalen Online-Zwischen­händler. Das soll sich ändern – mit digitalen Inno­vatio­nen made in Austria.

Einkehrschwung zur Datenwirtschaft

Von Dirk Bongardt

Das Gastgewerbe nur als „wichtigen Wirtschaftszweig“ Österreichs zu bezeichnen, würde seiner Bedeutung kaum gerecht. Jeder zehnte Erwerbstätige arbeitet in einem Zweig der Tourismusbranche, 42,4 Milliarden Euro gaben die Gäste 2018 in Hotels, Restaurants und für touristische Attraktionen aus. Von 2014 bis 2018 wuchs die Zahl der jährlichen Übernachtungen von knapp 132 auf fast 150 Millionen, und dieses Wachstum dürfte sich – vertraut man den Hochrechnungen – auch 2019 fortgesetzt haben. Auch wenn die Covid-19-Pandemie die Bilanz des Jahres 2020 ganz sicher getrübt hat, bleibt der Tourismus eine tragende Säule der österreichischen Wirtschaft.

Tourismus und Plattformökonomie

Doch mit dem Wachstum hat der Tourismus auch sein Gesicht verändert: So gehen die Übernachtungen in Privatquartieren seit Jahren zurück, und sie steigen in Hotels der gehobenen Kategorie weniger stark an als in gewerblichen Ferienwohnungen.

Im Winter konkurriert das klassische Wintersportparadies inzwischen mit südlichen Gefilden, die vielen Urlaubern – auch dank niedriger Flugpreise – als sonnige Alternative zum Schneeurlaub erscheinen. Zudem, so prognostizieren Klimaforscher, könnten die Klimaveränderungen dazu führen, dass in vielen tiefer gelegenen Wintersportgebieten in den kommenden Jahren nicht mehr genug Schnee fällt.

Dauerhaft verändert hat sich in den vergangenen Jahrzehnten auch das Buchungsverhalten der Gäste: Sie informieren sich auf Online-Bewertungsplattformen und in sozialen Medien über potenzielle Reiseziele, buchen eher über Online-Buchungsplattformen als über Reisebüros und lassen sich damit immer öfter Zeit bis kurz vor Reiseantritt.

Die Anbieter touristischer Leistungen sehen sich damit einer ganzen Reihe neuer Aufgaben gegenüber: Sinkende Planungssicherheit, wachsende digitale Gefahren für die Reputation, sinkende Attraktivität gegenüber konkurrierenden Angeboten und steigende Kosten für die Präsenz auf internationalen Plattformen. Dazu gesellen sich jetzt auch noch die Schwierigkeiten der Corona-Pandemie.

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Anstelle der alten Standseilbahn fährt heute eine Zehnergondelbahn auf den Hartkaiser über Ellmau, der zur SkiWelt Wilder Kaiser – Brixental gehört. Die Jägerhütte der Familie Wex auf 1400 m Seehöhe liegt eine Viertelstunde von der Bergstation entfernt. (Bild: Mathäus Gartner – Tourismusverband Wilder Kaiser)

Destination: Digitale Innovation

Next Level Tourism Austria (NETA) hat das nationale Tourismusmarketing Österreich Werbung seine Initiative getauft und beschreibt sie als „Netzwerkinitiative an der Schnittstelle zwischen Österreichs traditionellen Tourismusstrukturen und der globalen Travel & Communication Tech Szene“. Das Projekt soll digital affine Unternehmen und Organisationen aus dem österreichischen Tourismus ansprechen und mit Technologieanbietern und -entwicklern zusammenbringen.

Die Initative hat ihre Schwerpunkte auf drei Gebieten, die besonders von der digitalen Entwicklung profitieren können: Das erste Feld ist „Experience Design“, mit anderen Worten: „Wie ändern sich durch die Digitalisierung die Erwartungen des Gastes an zukünftige Urlaubserlebnisse?“ Ein zweites Feld ist die Kommunikation – hier wird zukünftig immer mehr personalisiert und automatisiert. Damit verbunden sind neue, technisch unterstützte Abläufe und vor allem auch kontinuierliche Messungen der Aktivitäten. Das dritte Feld ist der NETA eCampus – ein Branchenhub für anwenderorientiertes Lernen und das Testen neuer Geschäftsmodelle.

Anschaulich werden die Ziele und Anstrengungen von NETA am Beispiel des Austauschs mit dem chinesischen Plattformriesen Alibaba. Im Juni 2019 organisierte die Initiative für 20 Tourismusprofis eine Reise nach China, um dort Reiseveranstalter und Plattformanbieter zu besuchen. Experten von Alipay revanchierten sich mit Gegenbesuchen in Wien, Salzburg und Tirol. Die Fachleute beider Länder konnten sich dann dazu austauschen, wie touristische Angebote gestaltet sein müssen, damit chinesische Gäste sie in Anspruch nehmen.

Innovationen in der Übersicht: Tourism Innovation Map Austria

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(Bild: Next Level Tourism Austria – Österreich Werbung Wien)

Zu den Angeboten der NETA gehört auch eine transparente Übersicht über die unter ihrem Dach entwickelten Innovationen und Digitalisierungsprojekte. Wer investieren, sein Know-how einbringen oder Anregungen erhalten möchte, findet die interaktive Karte unter www.austriatourism.com/tim.

Auf der Karte haben die Entwickler in jedes Bundesland Kuchendiagramme eingezeichnet, die symbolhaft zeigen, in welchen Phasen sich die dort gestarteten Digitalisierungsprojekte befinden. Wer etwa auf das gelbe Feld (in Umsetzung) im Bundesland Tirol klickt, wo die meisten in Umsetzung befindlichen Projekte stattfinden, erfährt, dass dort gerade zwei Vorhaben des Tourismusverbands Wilder Kaiser in Arbeit sind, außerdem ein Projekt zur KI-gestützten Gästezufriedenheitsanalyse und ein Sprachsteuerungsprojekt namens assistant.tirol, das es bereits zum Alexa Skill und zur Google Action geschafft hat.

Wer sich dann näher für ein spezielles Projekt interessiert, kann am Fuß der Karte in den Reiter „Projektbeschreibungen“ wechseln. Hier findet sich dann zu jedem Projekt eine detailliertere Erläuterung. Wer – etwa für eine Kooperation – zu den Projektverantwortlichen Kontakt aufnehmen möchte, findet übrigens auch dessen E-Mail-Adresse in der Tourism Innovation Map Austria.

Hackathon für AR-/VR-Ideen

Im September 2019 lud die NETA gemeinsam mit dem Talent Garden Vienna zu ihrem ersten Hackathon. AR/VR-Anwendungen für den österreichischen Tourismus waren gefragt, insgesamt 32 Entwickler konzipierten und modellierten in Wien 48 Stunden lang Apps und Lösungen. Den Sieg trug das Wiener Unternehmen Scala Matta mit der App Ski Easy davon. Die App reichert das Kamerabild eines Smartphones mit Echtzeitdaten an und verrät Skifahrern, wie das Wetter wird, welche Schwierigkeitsgrade die Pisten der Umgebung haben oder wie viele freie Plätze noch beim Après-Ski zur Verfügung stehen.

Ein weiteres Team entwickelte eine digitale Schnitzeljagd nach virtuellen Mozartkugeln im Stil des bekannten AR-Spiels Pokemon Go. Statt der kleinen Monster sollen die Spieler aber Gutscheine und Vergünstigungen für Hotels und Restaurants erjagen können und nebenbei Wissenswertes über Kunst und Kultur ihrer Umgebung erfahren.

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Schwarz auf Weiß
Dieser Beitrag erschien zuerst in unserer Heise-Beilagenreihe „IT-Unternehmen aus Österreich stellen sich vor“. Einen Überblick mit freien Download-Links zu sämtlichen Einzelheften bekommen Sie online im Pressezentrum des MittelstandsWiki.

Zu den erarbeiteten Konzepten gehört auch eine AR-basierte Recruiting-App, mit der Unternehmen der Touristikbranche auf Mitarbeitersuche gehen können: Mögliche Bewerber können ihre potenziellen Arbeitgeber darin mithilfe multimedialer Stellenanzeigen kennenlernen, künftige Kollegen stellen sich in 360-Grad-Videos vor, und wer sich davon angesprochen fühlt, soll sich direkt aus der App heraus auf die ausgeschriebenen Stellen bewerben können – Bewerbungsvideo inklusive.

Mit eCampus und eigener Erfahrung

Ein wichtiges Angebot der NETA-Initiative sind die im eCampus versammelten Kurse, die, teils als offene multimediale Quellensammlung, teils nach Anmeldung genutzt werden können. In den vier Rubriken „Guest Experience“, „ÖW Wissen“, „Marketing & Kommunikation“ sowie „Geschäftsmodelle der Zukunft“ steht unter anderem eine ganze Reihe von Vorträgen und Experteninterviews aus den verschiedenen Themenfeldern zum Abruf, außerdem interaktive Karten und umfangreiche Leitfäden, etwa zu den unterschiedlichen Märkten in Osteuropa. Dabei setzen die Initiatoren auch auf externes Know-how. So sind zum Beispiel auch Onlinemarketing-Kurse von Facebook und Google verlinkt.

Damit sollten die netzwerkeigenen Experten aber keinesfalls kleingeredet werden: Der Bedeutung des Wirtschaftszweiges entsprechend, haben österreichische Wissenschaftler und Praktiker enormes Know-how rund um alle Aspekte des Tourismus angesammelt. Und insbesondere Wien verfügt über eine nach wie vor höchst aktive Start-up-Szene, die dem digitalen Tourismus der Zukunft noch so manchen Impuls geben dürfte. International agierende Plattformen werden wohl auch in Zukunft eine Rolle für Österreichs Gastgewerbe spielen. Aber vielleicht bald keine ganz so große mehr.

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Dirk Bongardt hat vor Beginn seiner journalistischen Laufbahn zehn Jahre Erfahrung in verschiedenen Funktionen in Vertriebsabteilungen industrieller und mittelständischer Unternehmen gesammelt. Seit 2000 arbeitet er als freier Autor. Sein thematischer Schwerpunkt liegt auf praxisnahen Informationen rund um Gegenwarts- und Zukunftstechnologien, vorwiegend in den Bereichen Mobile und IT.


Dirk Bongardt, Tel.: 05262-6400216, mail@dirk-bongardt.de, netknowhow.de

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