Smart Farming in Österreich: Wo Melk­roboter die Stall­arbeit übernehmen

Der Fort­schritt hat auch vor dem öster­reichi­schen Bauern­stand nicht halt­gemacht. Die Land­wirt­schaft ist heute so tech­ni­siert wie andere Wirt­schafts­zweige auch. Nun sorgt die all­gegen­wärtige Digi­tali­sie­rung für die nächste Welle von Um­wälzun­gen, sodass Ex­per­ten schon von Land­wirt­schaft 4.0 sprechen.

Der digitale grüne Daumen

Von Friedrich List

In Österreich gibt es zurzeit 166.300 land- und forst­wirt­schaft­liche Betriebe; davon verfügen 146.100 über land­wirt­schaft­liche Flächen. Viele von ihnen sind kleine und mittlere Bauern­höfe, und über die Hälfte wird im Neben­erwerb bewirt­schaftet. Damit geht es Öster­reich ähnlich wie seinem Nachbarn auf deutsch-bayerischer Seite.

Zur Zeit des EU-Beitritts arbeiteten in Österreich noch 239.000 landwirtschaftliche Betriebe. Seitdem ist nicht nur die Zahl der Höfe gesunken, sondern auch die landwirtschaftlich genutzte Fläche. Gleichzeitig ist jedoch die von jedem einzelnen Betrieb genutzte Fläche gewachsen. Mit anderen Worten: Immer weniger Bauern bewirtschaften immer größere Flächen. „Als weitere Schwierigkeit kommt dazu, dass immer weniger Leute in der Landwirtschaft arbeiten und diese wegen Hofzusammenlegungen größere Flächen bewirtschaften müssen“, sagte Gregor Dietachmayr, zuständig für die Bereiche Vertrieb und Marketing sowie Sprecher der Geschäftsführung des österreichischen Landmaschinenherstellers Pöttinger, gegenüber dem Wirtschaftsmagazin Die Macher. Man beschäftige sich seit Beginn der 2000er Jahre mit dem Thema Digitalisierung. Die Stichworte dazu heißen „Landwirtschaft 4.0“, „Digital Farming“ oder auch „Smart Agriculture“. Dazu gehören auch Themen wie Robotik, autonome Fahrzeuge und künstliche Intelligenz.

Von der Zugmaschine zum Precision Farming

Ab dem 18. Jahrhundert veränderte die Industrialisierung auch die Arbeit der Landwirte: Dampfmaschinen, Elektrizität, Motorisierung, schließlich Kunstdünger und Pflanzenschutzmittel steigerten die Erträge und machten die Bewirtschaftung großer Flächen möglich. Um die Wende in dieses Jahrhundert hatte das sogenannte Precision Farming (die Präzisionslandwirtschaft) weitere Verbesserungen ermöglicht. Mit GPS, Sensoren und Elektronik ausgestattete Maschinen erlaubten es nun, Nutzflächen mit hoher Genauigkeit zu bewirtschaften. Mithilfe von Satellitenbildern erzeugte Karten machen nun das Ausbringen von Pflanzenschutzmitteln gezielt dort möglich, wo sie tatsächlich nötig sind. Dann löst das Lenksystem im Fahrzeug das Sprühgerät nur entlang bestimmter GPS-Koordinaten aus.

Digital Roadmap Richtung Breitband

Die Alpenrepublik gab sich 2016 eine Digital Roadmap, um dem weiteren Weg in die digitale Zukunft eine Richtung zu geben. Im Bereich Umwelt, Energie, Landwirtschaft und Klimaschutz sieht die Digitalstrategie ein ganzes Bündel von Maßnahmen vor. Ein wesentlicher Punkt ist eine zeitgemäße elektronische Infrastruktur auch auf dem Lande. Die Breitbandversorgung im ländlichen Raum soll durch die Umsetzung der österreichischen Breitbandstrategie 2020 gewährleistet werden. Für selbstfahrende Maschinen und die Lebensmittellogistik sollen einheitliche Datenstandards geschaffen werden. Außerdem sollen Umweltdaten leichter elektronisch zugänglich gemacht werden.

In Österreich werden laut einer Umfrage von 2016 des zuständigen Ministeriums die neuen Technologien allerdings noch nicht durchgehend angewandt. Etwa 6 % der Landwirte nutzen Precision-Farming-Systeme. 13 % der Äcker werden mit GPS-gesteuerter Technologie bearbeitet. Zudem wenden eher die größeren Betriebe ab einer Fläche von über 50 ha Lösungen zum Präzisionslandbau an. Bei den Einsatzbereichen überwiegen Parallelfahreinrichtungen sowie Saat-, Dünge- oder Pflanzenschutzkarten.

Von Smart Farming zu Digital Farming

Die nächste Stufe ist jetzt das Smart Farming, bei dem einzelne Daten- und Informationsquellen miteinander verknüpft werden. Ziel ist dabei, die verschiedenen Teile der Prozesskette, etwa Aussaat oder Düngung, zu verbessern. Dabei werden wesentlich mehr Parameter als beim Precision Farming genutzt, und auch deren Wechselwirkung untereinander wird einbezogen. Beispielsweise kombiniert man die aktuellen Messerwerte eines Stickstoffsensors automatisch mit den Ertragskarten zurückliegender Jahre, um die Pflanzen während des Wachstums exakt mit der benötigten Menge Stickstoff zu versorgen.

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Schwarz auf Weiß
Dieser Beitrag erschien zuerst in unserer Heise-Beilagenreihe „IT-Unternehmen aus Österreich stellen sich vor“. Einen Überblick mit freien Download-Links zu sämtlichen Einzelheften bekommen Sie online im Pressezentrum des MittelstandsWiki.

Digital Farming treibt die Entwicklung weiter voran. Hier nutzt man die Informations- und Kommunikationstechnik, um alle Aspekte landwirtschaftlicher Produktion miteinander zu verknüpfen. Maschinen und Geräte sowie die Software auf Desktop-Computern oder von Internet-gestützten Anwendungen erfassen automatisch Daten, gleichen sie untereinander ab und werten sie aus. Der Landwirt selbst wird mehr und mehr zum Manager und Entscheider, der dabei neben seinen klassischen Kompetenzen auch die Möglichkeiten der neuen Technologien nutzt.

Kennzeichnend dabei ist der hohe Grad der Technisierung. In modernen Landmaschinen steckt bereits mehr Hightech als in vielen Autos. Das erfordert hohe Anfangsinvestitionen, hat aber auch ganz handfeste Vorteile, etwa bei der Düngung: Landwirte sparen Kosten, weil nur das gedüngt wird, was Sensoren durch Analyse der Blattfärbung anzeigen oder intelligente Bodenkarten vorgeben. Der Traktor mit dem Düngestreuer wird zudem per GPS gesteuert, sodass sich Düngemittel präzise ausbringen lassen.

Auch die Tierhaltung kommt mehr und mehr ohne Menschen aus. Bereits jetzt sind komplett automatisierte Systeme wie intelligente Melkroboter und durch Sensoren gesteuerte Fütterautomaten weit verbreitet. Im Stall verteilte Sensoren erfassen Daten zum Fressverhalten, zu Bewegung, Vokalisation und Ähnlichem, die Rückschlüsse auf den Gesundheitszustand der Tiere erlauben. Melkroboter legen das Melkgeschirr ohne manuelle Hilfe an. Sie orientieren sich dabei durch Ultraschall, Laser und optische Sensoren. Für die Landwirte bedeutet das vor allem weniger körperliche Arbeit. Je nach Entwurf schafft ein automatisierter Melkstand 60 und mehr Kühe. Außerdem liefert er umfangreiche Daten zur Tiergesundheit.

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Die Smart-Farming-Software Farmdok besorgt die gesetzlich geforderten Schlagaufzeichnungen digital: per Smartphone-App und anhand GPS-Daten. (Bild: Farmdok)

Big Data für die Landwirtschaft

Melkroboter und Fahrsysteme sind bereits seit Jahren im Einsatz. Relativ neu ist das Farm-Management-System Farmdok. Die App des gleichnamigen Start-ups aus Niederösterreich dokumentiert durch die Auswertung von GPS-Daten die Feldarbeit. „Früher geschah das alles handschriftlich“, sagt Gründer Andreas Prankl, der selbst auf einem Hof aufgewachsen ist, gegenüber derStandard.at. „Über die automatisierte Aufzeichnung können Landwirte Betriebsmittel leichter einschätzen. Der Bauer weiß, wie viel Gülle er schon ausgebracht hat.“ Auch Drohnen werden derzeit vermehrt eingesetzt. Sie werden leistungsfähiger und damit auch vielseitiger. Sie liefern nicht nur Luftbilder, sondern verteilen auch Pflanzenschutzmittel. So können zum Beispiel per Drohne auch Nützlinge auf von Schädlingen befallenen Feldern gezielt abgesetzt werden.

Das im Juni 2018 von der österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft ausgewählte Projekt D4Dairy der Firma ZAR/ZuchtData zeigt, wie digital Farming die Rinderzucht verändert könnte. ZuchtData ist ein Tochterunternehmen der Zentralen Arbeitsgemeinschaft österreichischer Rinderzüchter (ZAR). Der Projekttitel steht für „Digitalisation, Data integration, Detection and Decision support in Dairying“ (also etwa „Digitalisierung, Datenintegration, Erkennung und Entscheidungshilfe für die Milchproduktion“). D4Dairy wendet moderne Big-Data-Technologien in der Landwirtschaft an. Ziel des Projekts ist eine Software für die bessere Auswertung von Daten zu Gesundheit und Futterverhalten, zum Einsatz von Arzneimitteln und zu weiteren Parametern. Die Lösung hilft dann etwa bei der Früherkennung von Krankheiten. Sie soll aber die Landwirte nicht nur bei der Betreuung ihres Viehbestandes unterstützen, sondern auch die Ergebnisse der Rinderzucht verbessern.

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Friedrich List ist Journalist und Buch­autor in Hamburg. Seit Anfang des Jahr­hunderts schreibt er über Themen aus Computer­welt und IT, aber auch aus Forschung, Fliegerei und Raum­fahrt, u.a. für Heise-Print- und Online-Publikationen. Für ihn ist SEO genauso interessant wie Alexander Gersts nächster Flug zur Inter­nationalen Raum­station. Außerdem erzählt er auch gerne Geschichten aus seiner Heimatstadt.

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