IT-Gipfel contra Maschinenbau-Gipfel: Industrie 4.0 ohne Fachkräfte wird schwer

IT und Produktion sind einander im Zeichen von Industrie 4.0 schon fest versprochen. Dennoch war Sigmar Gabriel am Dienstag aufgefordert, auf zwei Hochzeiten zu tanzen. Der Bundeswirtschaftsminister eröffnete zuerst in Hamburg den 8. Nationalen IT-Gipfel, dann sprach er in Berlin auf dem Maschinenbau-Gipfel. Dabei zeigte sich, dass die Liebe bei dieser Vernunftehe recht ungleich verteilt ist.

„Wir werben so eifrig – und der bockige Mittelstand zieht einfach nicht mit!“ ließe sich die etwas ungehaltene Hauptbotschaft des IT-Gipfels zusammenfassen: „Wenn 70 % des Mittelstands bei einer Umfrage sagen, IT betrifft sie nicht vorrangig, ist das besorgniserregend“, äußerte Gabriel, nicht ohne Spitze. Tatsächlich wissen einer einschlägigen techconsult-Studie zufolge (BPI Mittelstand Expertenbericht Fertigung 2014) etwa 56 % der Unternehmen mit „Industrie 4.0“ nichts anzufangen, während eine eco-Studie „die deutsche Wirtschaft durch die für Industrie 4.0 erforderliche Zusammenschaltung von Hardware, Software und Telekommunikation für schlichtweg überfordert“ hält. In dieselbe Kerbe schlug Elmar Frickenstein, Executive Vice President Electrics/Electronics and Driving Experience Environment bei BMW, als er sagte: „Hier geht die Post ab, nicht beim Maschinenbau.“

Dabei gibt es keinen Grund für launige Bonmots über den produzierenden Mittelstand, nicht aus der Politik und nicht aus einer Branche, für deren Wohlbefinden die Politik eigens die Abwrackprämie erfand. Der Mann von der abgehenden Post wiederum, nämlich Timotheus Höttges von der Telekom, sorgte bei Kanzlerin Merkel für genügend Frequenz-, Förderungs- und Festnetzverwirrung und muss sich in all seiner Fußballweisheit („Die erste Halbzeit der Digitalisierung haben wir in Europa verloren“) von Sepp Herberger korrigieren lassen: „Ein Spiel dauert 90 Minuten.“ Das Beispiel Post war im Grunde überhaupt nicht gut gewählt, denn namentlich die groß lancierte De-Mail geht keineswegs so ab, wie sich Telekom und E-Politik das gedacht hatten.

Mittelstandsschelte und Seitenhiebe auf den Maschinenbau dürften jedoch Gewohnheitsaffekten geschuldet sein, die immer dann greifen, wenn Führungspersönlichkeiten sich mit einer Kampagne verschätzen (dann war eben „der Markt noch nicht reif“) oder eine Wahl verlieren (dann hat das „der Wähler nicht verstanden“). Man darf sich aber vor Augen halten, dass die gescholtenen Adressaten selbst mittelständische Unternehmer sind, die sich vor gar nicht allzu langer Zeit auf den Elektronischen Entgeltnachweis vorbereitet hatten, bevor die Politik das Projekt ohne mit der Wimper zu zucken wieder verschwinden ließ; die alle Varianten von elektronischer Rechnungssignatur inklusive Signaturprüfung studieren mussten, bevor sich herausstellte, dass ein ordentliches PDF vollauf genügt; und die bis heute darauf warten, dass sich die SEPA-Umstellung für sie rentiert.

Dass man sich auf dem Maschinenbau-Gipfel für die 50 Mio. Euro schwere Förderung von „intelligenten Dienstleistungen“ – also wohl allem, was nicht Fertigung ist – kaum groß begeistern konnte und Gabriel stattdessen den Unmut über die Ukraine-Sanktionen spüren ließ, ist verständlich. Zum Technologieprogramm Smart Service Welt sollen außerdem fünf „Kompetenzzentren für den Mittelstand“ gehören. Angetippt wurden ferner innovationspolitische Erleichterungen für Start-ups und eine mögliche „Börse 2.0“ für junge Digitalunternehmen. Mit dem Maschinenbaumotto „Zukunft produzieren“ hat das alles wenig zu tun.

Unbeantwortet blieb nicht zuletzt die praktische Frage, woher der Mittelstand die für die vierte industrielle Revolution nötigen Fachkräfte denn hernehmen soll. Oder, um im Bild zu bleiben: Wo bleiben die Feldspieler für die zweite Halbzeit? Einer Prognos-Studie zufolge, die im Auftrag des BITKOM anlässlich des IT-Gipfels erstellt wurde, waren deutschlandweit schon 2012 knapp 1,5 Mio. Arbeitsplätze auf die Digitalisierung zurückzuführen. Zugleich lag aber – ebenfalls nach BITKOM-Angaben – die Zahl der offenen Stellen für IT-Experten in der deutschen Wirtschaft bereits vor einem Jahr bei 39.000, und daran hat sich seitdem nichts geändert: „In Deutschland gibt es allein rund 40.000 offene und oft schwer zu besetzende Stellen für IT-Spezialisten quer durch alle Branchen“, gab Dr. Axel Pols, Geschäftsführer der Bitkom Research GmbH, bei der Vorstellung der Studie „Migration von Fach- und Führungskräften nach Deutschland“ zu Protokoll. Die andere, begrenzte Alternative wäre IT-Outsourcing. Dabei mahnt namentlich der VDMA seit rund einem Jahrzehnt eine entsprechende Bildungs- und Ausbildungspolitik an. Bereits 2008 suchte der Maschinen- und Anlagenbau händeringend IT- und Automatisierungsfachkräfte für rund die Hälfte aller unbesetzten Stellen in der Branche. An Weitblick und Willen zur Umsetzung von Industrie 4.0 mangelt es dem Maschinenbau also nicht. (fe)