Euro-Rettung: Ein Sirtaki (vorläufig) ohne Ende

Der griechische Premier Papandreou stehe vor dem Rücktritt und das Referendum sei vom Tisch, meldeten heute Nachrichtenagenturen und prompt stieg der DAX. Eine neue Runde Sirtaki ist eingeleitet. Wie und wann wird der Tanz enden? Weil jeder Tag eine weitere Schlacht um den Euro, die Griechen und deutsches Steuergeld zu bringen scheint, ist es wichtig, neben der tagespolitischen Entwicklung die bleibenden Verän­derungen nicht aus den Augen zu verlieren.

Bis zum Montag ging es vor allem um den Rettungsschirm und den vieldiskutierten Hebel (siehe Wissensbeitrag zum Hebel), mit dem der Rettungsschirm verstärkt werden sollte. Schon am Dienstag waren jedoch alle Pläne (scheinbar) Makulatur, weil Griechenlands Premier irgendwann im Januar oder Februar eine Volksabstimmung über die Hilfe der EU durchführen lassen wollte. Kaum begann darüber die öffentliche Diskussion, war auf Druck von Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy ein Termin Anfang bis Mitte Dezember im Gespräch. Heute kommt die Meldung, das Referendum sei wieder abgesagt. Alles schon wieder Schnee von gestern? Was morgen in dieser griechischen Tragödie gespielt wird, weiß heute wahrscheinlich noch nicht einmal der Regisseur.

Mit etwas Distanz lassen sich aber einige Entwicklungen erkennen, die über die aktuelle Tagespolitik hinaus wichtig sind. So z. B. der umstrittene Hebel: Er ist zwar im Zuge der Griechenland-Pleite geboren worden, wird aber aus dem Werkzeugkasten und Kalkül der Staaten nicht mehr verschwinden. Dafür gibt es zwei Gründe: Erstens ist er zwischen den EU-Staaten ausdiskutiert und institutionell vorbereitet, also einsatzbereit. Zweitens übt er auf Regierungen eine viel zu große Versuchung aus, mit seiner Hilfe auch in Zukunft den Bürgern Wohltaten versprechen zu können, die mit den Staatshaushalten eigentlich nicht mehr finanzierbar sind.

Man mag einen solchen Schuldenverstärker zwar bedauern, aber im Gegensatz zu anderen Finanzierungstricks, die bisher ohne großes Aufheben von vielen Staaten – auch von Deutschland – schon praktiziert wurden, ist dieses noch der solideste, weil er nur dann eingesetzt werden kann, wenn sich Investoren dafür finden, die an eine Rendite glauben. Das bringt Realitätssinn in den Hebel.

Wohl aber wird der Hebel mit der Zeit noch den einen oder anderen Feinschliff erhalten müssen. Auch die Investoren werden erst mit der Zeit ein Fingerspitzengefühl für die Risiken derartiger gehebelter Staatsanleihen entwickeln. In die nächsten Auflagen der Volkswirtschaftslehrbücher wird der Hebel aber ganz sicher Einzug halten.

Bleiben wird auch ein Abschreckungseffekt für andere Schuldenländer – egal, ob am Ende Griechenland aus der EU ausgetreten sein wird oder nicht. Sein Fall zeigt, dass ein derart unsolider Staatshaushalt ein Land noch innerhalb einer Wahlperiode an den Rand eines Bürgerkrieges oder Staatsputsches bringen kann, der die Verursacher ganz persönlich schmerzhaft vom Tisch der Macht fegen würde.

Noch steht eine Lehrstunde darüber aus, wie ein Ausstieg aus dem Euro und eine Rückkehr zur alten Nationalwährung überhaupt logistisch und finanztechnisch ablaufen würde. Immerhin will neues „altes“ Geld erst einmal gedruckt und in Umlauf gebrachte werden. Sowohl der Druck als auch die Verteilung kosten eine Menge Geld, das Griechenland aber fehlt – und viel Zeit, in der das noch nicht abgewanderte griechische Kapital aus dem Land flüchten würde.

Völlig unkalkulierbar ist im Fall Griechenlands, in denen Banken von jeher viel weniger Vertrauen genießen als in Deutschland, wie viele Drachmen noch in den privaten Tresoren und in Kopfkissen stecken. Wie werden sie sich bei einer Rückkehr auswirken? In jedem Fall sind sie nicht mehr Bestandteil des aktuellen Geldflusses und könnten diesen stark verzerren.

Noch ein großer und langfristig verheerender Faktor wäre eine Flucht der qualifizierten Jugend infolge der Kapitalflucht. Noch nie gab es in Europa eine auch nur annähernd vergleichbare Situation, nicht einmal in oder unmittelbar nach den beiden Weltkriegen, denn die Mobilität von heute ist eine völlig andere als die der Kriegs- und Nachkriegsobdachlosigkeit. Eine überstürzte Flucht hochqualifizierter junger Leute in intakte Nachbarländer wäre verglichen mit früheren Wanderungsbewegungen mit praktisch keinen Mühen verbunden und daher eher verlockend als belastend.

Zusammengefasst müssen wir anderen Europäer noch glücklich darüber sein, dass alle diese ungeplanten Entwicklungen „nur“ im Rahmen eines so kleinen EU-Mitglieds stattfinden, erstens, weil wir alle daraus lernen können, und zweitens, weil die gleiche Situation im Zusammenhang mit einem größeren Euro-Mitglied Europa nicht nur in eine Wirtschaftskrise, sondern in eine Wirtschaftskatastrophe gerissen hätte. Nun ist selbst Italien vorgewarnt. Statt auf die Ratingagenturen zu schimpfen, sollten wir Europäer ihnen für diese Zwangslektion lieber dankbar sein. (ml)