Mobilität 4.0: Welche Verkehrs­konzepte Berlin, Dresden und Hamburg testen

Während einzelne Städte bereits Fahr­verbote für Diesel­fahrzeuge ver­hängen, wird fieber­haft an modernen, klima­gerechten Ver­kehrs­lösungen gearbeitet. Dabei machen die Probleme nicht an der Stadt­grenze halt. Güter- und Personen­fern­verkehr, aber auch der ÖPNV auf dem Lande, müssen einbezogen werden.

Jetzt aber mit Tempo!

Von Friedrich List

Die Bundeshauptstadt gilt neben Hamburg als einer der Spitzenreiter bei neuen Mobilitätskonzepten. Bei der TU Berlin sind autonome Fahrzeuge schon seit Jahren im Testbetrieb unterwegs. Nun unterstützt der Stadtstaat im Rahmen des Förderprogramms Wirtschaftsnahe Elektromobilität (WEMO) die Anschaffung von Elektrofahrzeugen durch kleine und mittelständische Betriebe. Bis zu 4000 Euro Zuschuss pro Fahrzeug sind möglich. „Nicht nur der geringere CO₂-Ausstoß, auch die Vermeidung von Lärm, Feinstaub und Stickoxiden helfen, Berlin noch lebenswerter zu machen“, sagte Gernot Lobenberg, Leiter der Berliner Agentur für Elektromobilität eMO.

Urbanes Testfeld Berlin

Dagegen beschäftigt sich das Projekt ATLaS (Automatisiertes und vernetztes Fahren in der Logistik) damit, wie automatisiertes Fahren bzw. Fahren im elektronischen Verbund verwirklicht werden können. Das sogenannte Platooning wird zwar an einigen Stellen erprobt, ist aber noch nicht im kommerziellen Einsatz. Auch autonom fahrfähige Lkw werden erprobt. Aber ein konzeptionelles Pendant etwa zur Smart Factory fehlt bislang für den Güterverkehr. Also untersuchen die Projektpartner, welche Anforderungen Logistikunternehmen und verladende Firmen an derartige Lösungen stellen würden. Beteiligt sind das Institut für Verkehrsplanung und Logistik an der TU Hamburg-Harburg und das Institut für Verkehrsforschung des Deutschen Zentrums für Luft‐ und Raumfahrt. Ausführend mit dabei sind auch die in Berlin ansässige DroneMasters Boost GmbH mit ihrem Start-up-Beschleuniger, der Dronemasters Future Mobility Initiative, und der Verein LogistikNetz Berlin‐Brandenburg e.V. mit Sitz an der TH Wildau.

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Das Projekt ATLaS hat gezeigt, dass Platooning vor allem dann für Logistikunternehmen interessant ist, wenn nur ein Fahrer den Platoon steuert und damit Lastspitzen bedient werden können. (Bild: Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) – Projekt ATLaS)

Ebenfalls um das autonome bzw. automatisierte Fahren geht es bei DIGINET-PS. Im Rahmen des durch das DAI-Labor (Distributed Artificial Intelligence Laboratory) der TU Berlin betreuten Projekts entsteht seit April 2017 eine Teststrecke entlang der Straße des 17. Juni, zwischen Brandenburger Tor und Ernst-Reuter-Platz. Es ist deutschlandweit das erste Vorhaben dieser Art. Die „digital vernetzte Protokollstrecke“ soll Forschungseinrichtungen und Unternehmen die Möglichkeit bieten, autonomes Fahren in einem urbanen Umfeld zu testen. Dazu gehört auch eine virtuelle Test- und Validierungsumgebung für automatisierte Fahrzeuge. Gedacht ist das so, dass sich um das Testfeld verschiedene Akteure versammeln, die gemeinsam an neuen Lösungen für das autonome Fahren arbeiten. An dem Projekt arbeiten neben der TU Berlin und der eMO GmbH u.a. auch T-Systems, das Fraunhofer-Institut für Offene Kommunikationssysteme FOKUS und Daimler mit seinem Daimler Center for Automotive Information Technology Innovations (DCAITI), das ebenfalls an der TU Berlin angesiedelt ist.

E-Ladeinfrastruktur für Dresden

Dresden will wie viele andere Metropolen für Elektrofahrzeuge attraktiver werden. Der Bund stellt der sächsischen Landeshauptstadt deswegen 8,5 Millionen Euro aus dem Sofortprogramm Saubere Luft 2017–2020 zur Verfügung. Damit soll eine Ladeinfrastruktur für Elektrofahrzeuge aufgebaut werden. Dabei ist die TU Dresden einer von sieben Partnern der Stadt; sie sorgt zum einen für den netzverträglichen Aufbau der Infrastruktur, und zum anderen für die Visualisierung der Projektergebnisse: Energieflüsse, Landestationen und Fahrzeugbewegungen sollen in einem 3D-Modell präsentiert werden. Bis Ende 2019 will das Vorhaben Daten Tanken 54 Schnellladestationen und 92 Normalladepunkte an 24 Servicepunkten entstehen.

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Schwarz auf Weiß
Dieser Beitrag erschien zuerst in unserer Magazin­reihe „IT-Unternehmen aus der Region stellen sich vor“. Einen Über­blick mit freien Down­load-Links zu sämt­lichen bereits verfügbaren Einzel­heften bekommen Sie online im Presse­zentrum des MittelstandsWiki.

Zudem baut die Stadt eine umweltfreundliche City-Logistik mit Elektrofahrzeugen auf. Projektpartner errichten an innerstädtischen Standorten von Logistikunternehmen Ladepunkte für E-Fahrzeuge. Die nichtöffentliche Infrastruktur umfasst 108 Normalladepunkte und zwei Schnellladepunkte. Die ersten Nutzer sollen am Projekt beteiligte Fuhrparkbetreiber, Carsharing-Anbieter und kommerzielle Fahrzeugflotten sein.

ÖPNV-Experimente in der Fläche

Wer abseits der großen Städte und Ballungsräume lebt, ist meist auf das eigene Auto angewiesen – oder aber auf die häufig ungenügenden Angebote des öffentlichen Nahverkehrs. Die Deutsche Bahn hat sich an vielen Stellen aus der Fläche zurückgezogen, und auch neue Bahnanbieter oder Buslinien haben diese Lücken nur ungenügend schließen können.

Serie: Mobilität 4.0
Der Einführungsbeitrag beginnt in Berlin – die Bundeshauptstadt ist experimentierfreudiger Vorreiter neuer Mobilitätskonzepte. Gute Beispiele meldet der Report auch aus Hamburg und Dresden. Teil 2 begibt sich dann in den Westen nach Nordrhein-Westfalen; dort hat das Zukunftsnetz Mobilität NRW viele Projektfäden in der Hand. Eine wichtige Rolle spielt hier der öffentliche Personennahverkehr, denn immer mehr Verkehrsbetriebe lassen ihre Busse mit Biogas fahren. Teil 3 geht zu den Ursprüngen der Automobilindustrie und sieht sich an, wie sich Baden-Württemberg und insbesondere Stuttgart die Zukunft der Mobilität vorstellen. Teil 4 berichtet aus dem benachbarten Flächenland Bayern, Teil 5 fährt über die Grenze nach Österreich. Außerdem gibt es bereits einen Report zu mobilen Stauwarnanlagen und intelligentem Verkehrsmanagement sowie zu autonomen Schiffen, Wasserstoffprojekten, Business-Bikes, Stadtseilbahnen sowie Lufttaxis und Urban Air Mobility.

Der ADAC hat 2018 in einer bundesweiten Umfrage rund 3400 Einwohner ländlicher Gemeinden im gesamten Bundesgebiet dazu befragt, wie zufrieden sie mit ihren Mobilitätsmöglichkeiten sind und wie gut sie ihre Ziele mit Auto, Bahn, Bus, Fahrrad oder zu Fuß erreichten. Die Untersuchung „Mobil auf dem Land“ zeigt einerseits eine große Zufriedenheit, andererseits aber auch ein tiefes Unbehagen: Die meisten sind zufrieden, solange sie den eigenen Pkw nutzen können. Praktisch alle Befragten fahren Auto, sieben von zehn sogar regelmäßig. Hier schneidet die Provinz im Vergleich zur Großstadt sogar gut ab. Die Straßen sind meist gut ausgebaut, Fahrzeiten lassen sich einigermaßen genau einschätzen, weil kaum Staus auftreten. Aber mehr als die Hälfte nutzt Regionalbahn oder Bus so gut wie nie. Das liegt wiederum am mangelhaften oder sogar fehlenden Angebot. Viele Befragte sprechen sich deshalb für Investitionen in den ÖPNV aus.

Dabei werden auch abseits der Ballungsräume neue Lösungen für den öffentlichen Nahverkehr erprobt. So läuft im Landkreis Ostprignitz-Ruppin bereits ein Versuch mit automatisierten OPR-Kleinbussen. Bis Mitte 2019 sollen praktische Erfahrungen mit einer kleinen Anzahl von Testfahrzeugen gesammelt werden. Dabei interessiert die Verantwortlichen nicht zuletzt, wie automatisierte Fahrzeuge von den Kunden angenommen und beurteilt werden. Beteiligt sind der ÖPNV-Träger vor Ort sowie das Institut für Land- und Seeverkehr an der TU Berlin.

Serie: Smart City

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Teil 1 gibt eine erste Einführung und stellt als Beispiele die Konzepte in Hamburg, Berlin und Göttingen vor. Teil 2 geht nach Bayern und berichtet, was sich in den Münchner Modellvierteln tut. Teil 3 wechselt über die Grenze nach Österreich – dort hat man nämlich bereits eine nationale Smart-City-Strategie und ist führend im Passivhausbau. Teil 4 stürzt sich dann mitten in die Metropolregion Ruhrgebiet und berichtet unter anderem von der digitalsten Stadt Deutschlands. Den deutschen Südwesten nimmt sich zuletzt Teil 5 dieser Serie vor. Ein Extrabeitrag hat außerdem Beispiele dafür zusammengetragen, was Green IT zur Smart City beitragen kann. (Bild: zapp2photo – Fotolia)

Die Alternative: Carsharing

Carsharing-Anbieter gibt es mittlerweile nicht nur in den großen Städten, sondern auch in ländlichen Regionen. Der Bundesverband Carsharing zählte Anfang 2018 rund zwei Millionen Interessierte, die bei den verschiedenen Anbietern registriert waren. Auch in Mitteldeutschland interessieren sich immer mehr Menschen für die Nutzung von Gemeinschaftsautos. Einer dieser Anbieter ist teilAuto. Das Unternehmen begann 1992 als ökologisch orientierter Verein in Halle an der Saale und ist heute in 19 Städten vertreten. Der Heimatmarkt liegt dementsprechend in den Bundesländern Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Das Unternehmen stellt seinen inzwischen rund 35.000 Kunden um die 1000 Fahrzeuge vom Kleinwagen bis zum Transporter zur Verfügung. Der emissionsarme Fahrzeugpark verteilt sich auf über 500 Stationen; seit Frühjahr 2018 bietet teilAuto unter der Marke cityflitzer auch stationslose Fahrzeuge an.

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CarSharing-Parkplätze wie hier in Berlin haben eine doppelte Funktion: Sie ermöglichen, dass das System funktioniert – und sie machen für jedermann diese Mobilitätsoption deutlich sichtbar. (Bild: Bundesverband CarSharing e.V. – bcs)

Hamburg geht in die Luft

Hamburg hat als Stadtstaat ein Problem: Die Bevölkerung wächst seit Jahren, aber das Territorium wächst nicht mit. Auch der Hafen, neben dem Flugzeugbau das Kernstück der Hamburger Wirtschaft stößt an Wachstumsgrenzen. Der Hafen wird derzeit zum smartPort umgebaut, dessen digitale Infrastruktur ein besseres Management des Verkehrs ermöglicht. Über 300 Sensoren und Detektoren informieren Verkehrsteilnehmer über Staus oder gesperrte Brücken. Auch freie Parkflächen werden angezeigt.

Der Hamburger Verkehrsverbund (HVV) möchte parallel dazu den Nahverkehr verbessern. WLAN in den Bussen und ein WhatsApp-Ticker, der Störungen meldet, sollen dazu beitragen. Bis 2021 sollen auch vier automatisierte Züge auf dem Hochbahnnetz fahren. Carsharing und Leihräder können über die App switchh bestellt werden. Zudem arbeitet der HVV mit anderen Nahverkehrsträgern zusammen, um die Grundlagen für die Einführung von Elektrobussen zu schaffen. Die in Teilen von Hamburg und in Schleswig-Holstein aktiven Verkehrsbetriebe Hamburg-Holstein (VHH) wollen ab 2020 für das Hamburger Gebiet nur noch E-Busse einsetzen.

Um die notorisch verstopfte Innenstadt, aber auch das in die Stadt führende Netz aus Lufttaxis und unbemannten LuftfahrzeugenVerkehrsnetz zu entlasten, schlagen Wissenschaftler der TU Hamburg-Harburg ein vor. Zwar würde der Flugverkehr über dem Stadtgebiet auf 4500 Flüge pro Tag ansteigen, aber immerhin könnte rund 1 % der halben Million Pendler auf fliegende Alternativen umsteigen. Zumindest aus technischer Sicht sieht Prof. Volker Gollnick, einer der Initiatoren, keine Probleme. Ob sich allerdings die geeigneten Luftfahrzeuge und eine Lösung zur Regelung des dann sehr dichten innerstädtischen Luftverkehrs finden lassen, bleibt abzuwarten.

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Friedrich List ist Journalist und Buch­autor in Hamburg. Seit Anfang des Jahr­hunderts schreibt er über Themen aus Computer­welt und IT, aber auch aus Forschung, Fliegerei und Raum­fahrt, u.a. für Heise-Print- und Online-Publikationen. Für ihn ist SEO genauso interessant wie Alexander Gersts nächster Flug zur Inter­nationalen Raum­station. Außerdem erzählt er auch gerne Geschichten aus seiner Heimatstadt.

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