Innovation im Mittelstand

Erfinder sind Spinner mit Realitätssinn

Von Dr. Georg Kraus, Dr. Kraus & Partner

Glaubt man den Hochglanzbroschüren der Unternehmen, dann sind sie alle innovativ und alle sind bereit, neue Wege zu gehen. Das gehört zum festen Rederepertoire aller Unternehmensführer. Doch sind die Unternehmen wirklich so innovativ, wie sie sich gern präsentieren? Manche kleine und viele Firmen aus dem Mittelstand ja. Bei Großunternehmen stellt man aber oft fest: Innovation beschränkt sich weitgehend auf ein Optimieren des Bestehenden.

Was ist Innovation?

Kreativität versus Innovation

Kreativität bezeichnet die geistige Fähigkeit, neue Ideen und Designs zu entwerfen, Innovation hingegen einen Schaffensprozess, der aus neuen Ideen brauchbare Lösungen entwickelt. Kreativität kann zielorientiert sein, Innovation hingegen ist es stets. Das heißt: Innovation zielt darauf ab, definierte Ziele zu erreichen. Und hieran wird auch die Qualität der Ideen und Problemlösungen gemessen. Dieses Denken hatten (fast) alle großen Erfinder verinnerlicht. So lautete z.B. eine Maxime von Thomas Edison, der u.a. die Glühbirne erfand:

„Was sich nicht verkaufen lässt, das will ich nicht erfinden.“

Verbesserung versus Quantensprung

In der betrieblichen Alltagssprache wird oft jede Verbesserung im Rahmen des Bestehenden als „Innovation“ bezeichnet. Bei echten Innovationen werden Aufgaben oder Probleme jedoch ganz anders als bisher gelöst. Es wird ein sogenannter Musterwechsel vollzogen, der statt einer partiellen Verbesserung einen Quantensprung ermöglicht.

Ein solcher Musterwechsel war beim Skispringen der Wechsel vom Parallelstil zum V-Stil ab 1986. Er ermöglichte es den Skispringern, viel größere Weiten zu erzielen. Dasselbe gilt für den Wechsel vom Straddle zum Fosbury-Flop beim Hochspringen. Im wirtschaftlichen Kontext stellte z.B. der Vertrieb von Büchern oder Schuhen via Internet einen Musterwechsel dar. Dasselbe gilt für das Fernablesen von Stromzählerdaten.

Trend versus Paradigmenwechsel

Die Basis für echte Innovationen sind keine vorübergehenden Moden und Trends. Ihre Basis sind meist Technologieschübe, die so fundamental sind, dass sich die Paradigmen des wirtschaftlichen (und gesellschaftlichen) Lebens radikal ändern.

Ein solcher Paradigmenwechsel war der Siegeszug der Informationstechnologie. Er ermöglichte wiederum Folgetechnologien wie den PC, den Mobilfunk, das Internet sowie die Social Media, die heute das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben revolutionieren bzw. bereits revolutioniert haben.

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Dr. Georg Kraus ist geschäftsführender Gesellschafter der international agierenden Unternehmensberatung Dr. Kraus & Partner, Bruchsal, für die über 100 Berater, Trainer und Projektmanager arbeiten. Seit 1994 ist er Lehrbeauftragter an der Universität Karlsruhe, der IAE in Aix-en-Provence, der St. Galler Business School und der Technischen Universität Clausthal.


Dr. Kraus & Partner, Werner-von-Siemens-Str. 2–6, 76646 Bruchsal, 07251-989034, Fax: 07251-989035, info@krauspartner.de, www.kraus-und-partner.de

Was lähmt Innovation?

Angst, Angst und nochmals Angst. Dabei gilt es zwischen

  • psychologischen, mentalen Barrieren,
  • organisationalen Hindernissen/Barrieren sowie
  • kulturellen, gesellschaftlichen Barrieren

zu unterscheiden.

Psychologische, mentale Barrieren

Erstes Hindernis ist die Angst, zu versagen. Denn wer Neues wagt und scheitert, wird in unserer Gesellschaft und in den Unternehmen schnell als „Phantast“, „Pleitier“ oder „Cash Burner“ gebrandmarkt. Das hält viele Personen und Organisationen davon ab, radikal Neues zu denken und neue Wege zu beschreiten.

Hinzu kommt als Zweites die Angst vor Kontroll- und Effizienzverlust. Innovationsprozesse lassen sich nämlich nicht so leicht (von oben) steuern wie etablierte Geschäftsprozesse. Sie sind stets mit Unwägbarkeiten verknüpft. Hinzu kommt: Bei jedem Innovationsprozess muss auch das „Tal der Tränen“ durchschritten werden. Zudem sinkt der Output zwischenzeitlich. Das veranlasst viele Personen und Organisationen, lieber das Bestehende zu optimieren, weil sie diese Prozesse beherrschen und unter Kontrolle haben.

Drittens spielt hier auch die Angst vor Macht- und Kompetenzverlust mit. Innovation bedeutet: Neuland betreten. Das heißt: Denk- und Verhaltensmuster müssen hinterfragt und teilweise über Bord geworfen werden. Das bedeutet auch: Denk- und Verhaltensroutinen, die Sicherheit vermitteln, werden obsolet. Und das Erfahrungswissen, auf das die „alten Hasen“ (auch in der Unternehmensführung) stolz sind, verliert an Wert. Das macht vielen Mitarbeitern, aber auch Führungskräften Angst.

Organisationale Barrieren

Organisationale Hindernisse sind Materialisierungen der genannten psychologischen Barrieren. Sie dokumentieren sich in Unternehmen in einer regelrechten Innovationsbürokratie, z.B. in komplexen Freigabe- und Genehmigungsverfahren (Angst vor Kontrollverlust) sowie in rigiden Plan- und Budgetvorgaben (Angst vor Vorsagen). Auch das Kompetenzgerangel, das oft in Zusammenhang mit Innovationsprozessen entsteht, ist Ausdruck einer psychologischen Barriere, nämlich der Angst vor Macht- und Einflussverlust.

Aus Angst versuchen Unternehmen oft, das Innovationsmanagement in ähnlich starr definierte Prozesse zu gießen wie das Tagesgeschäft. Gewünscht wird „Innovation mit Kasko-Schutz“. Statt Experimente zu wagen, die die Gefahr des Scheiterns zu akzeptieren, versuchen Unternehmen, Innovation mit Zahlen (Studien, Marktanalysen usw.) abzusichern. Das geht aber immer nur sehr bedingt. Und: Zahlen spiegeln letztlich nur die Vergangenheit wider.

Kulturelle, gesellschaftliche Barrieren

Eine Voraussetzung für Innovation ist eine Kultur und Denkstruktur, die Fehlversuche erlaubt. In der Organisation muss ein Geist herrschen, wie er sich in folgender Anekdote über Edison manifestiert, der fast 9000 Versuche unternahm, bis die Glühbirne marktreif war: Als ein Mitarbeiter nach dem 1000-sten Versuch zu Edison sagte „Wir sind gescheitert“, erwiderte er: „Ich bin nicht gescheitert. Ich kenne jetzt 1000 Wege, wie man keine Glühbirne baut.“

Mit schwerfälligen Innovationsprozessen mit definierten Abläufen, Schnittstellen und klaren Regeln lassen sich nur Verbesserungen erziehen. „Echte“ Innovationen erfordern andere Management-Konzepte.

Was zeichnet Innovatoren und Entrepreneure aus?

Ein Entrepreneur, also Innovator an der Unternehmensspitze zu sein, bedeutet mehr als ein Unternehmen zu managen und die Ressourcen effektiv zu nutzen. Es schließt auch solch kreative Elemente ein wie

  • das Identifizieren von (Markt-)Chancen,
  • das Finden neuer (Geschäfts-)Ideen und
  • deren Umsetzung in Form neuer Geschäftsmodelle.

Das setzt bei Entrepreneuren, die stets zugleich Innovatoren sind, folgende persönlichen Eigenschaften voraus:

Neugier

Entrepreneure hinterfragen scheinbar selbstverständliche Dinge und wollen sie verstehen. Sie stellen Fragen, die andere nicht stellen, z.B.: Warum muss ein Auto ein Lenkrad haben? Warum stapeln sich in meiner Schublade die Gebrauchsanleitungen und Fernbedienungen? Muss ein Unternehmen eine „Zentrale“ haben?

Innere Unruhe

Entrepreneure geben sich mit den bestehenden Lösungen nicht zufrieden. Sie beobachten z.B., dass es in fast jedem Haushalt eine Bohrmaschine gibt, die maximal ein, zwei Mal pro Jahr genutzt wird. Dann fragen sie sich: Warum ist das so? Und kommen zum Ergebnis:

  • „Leute kaufen Bohrmaschinen, weil sie Löcher brauchen.“
  • „Sie brauchen Löcher, um etwas zu befestigen.“
  • „Löcher sind lästig. Wie könnte man Dinge anders befestigen?“

Also begeben sie sich auf die Suche nach neuen Problemlösungen (… um letztlich zu ganz neuen „Produkten“ zu gelangen, die man verkaufen kann).

Imagination

Entrepreneure verfügen über die Fähigkeit, sich Dinge anders vorzustellen, als sie gerade sind. Sie sehen beim Betreten einer leeren Wohnung nicht die kahlen, kalten Räume (also die Realität), sondern sie sehen vor ihrem geistigen Auge vielmehr, wie die eingerichtete Wohnung künftig aussehen könnte. Sie sehen also die Möglichkeiten, Potenziale und Chancen.

Ausdauer und Beharrlichkeit

Entrepreneure zeichnen sich durch eine gewisse „Starrköpfigkeit“ aus. Sie glauben auch noch an eine mögliche Lösung, wenn die ersten Versuche gescheitert sind und fast alle im Umfeld sagen: „Das klappt nie.“ Zugleich bewahren sie jedoch den erforderlichen Realitätsbezug, ohne den sie bloße Fantasten wären.

Unternehmergeist

Entrepreneure sind „Macher“ und „Erfinder“ zugleich, nicht bloß Manager und Verwalter. Das heißt: Sie verfügen wie Edison über einen gesunden Pragmatismus.

Ein typisches Beispiel für diesen Unternehmertypus ist Reinhold Würth, der aus der väterlichen Schraubenhandlung die weltweit agierende, auf Befestigungs- und Montagetechnik spezialisierte Unternehmensgruppe Würth entwickelte. Ein weiteres Beispiel ist Artur Fischer, der die Fischerwerke gründete, die pro Jahr 13,2 Patente pro 1000 Mitarbeiter anmelden. Zum Vergleich: Der Industriedurchschnitt liegt bei 0,54.

Was stärkt die Innovationskraft?

Innovation setzt neben einer bestimmten Unternehmenskultur eine zukunftsorientierte Management-Kultur voraus. Das Top-Management muss es als seine Kernaufgabe begreifen, Innovationen in der Organisation voranzutreiben, um den langfristigen Erfolg zu sichern. Deshalb sollten Unternehmensführer das operative Geschäft, soweit möglich, an die nächste Ebene abgeben, damit sie mehr Zeit für diese Unternehmeraufgabe haben.

Serie: Innovations- und Gründerzentren
Der Einführungsbeitrag gibt eine erste Übersicht für Gründer und Start-ups. Dabei interessiert auch die Frage, wie sich die Locations auf den eigenen Erfolg und die Karriere auswirken. Teil 1 stellt dann konkrete Beispiele aus Berlin, Hamburg und anderen Orten im deutschen Norden und Osten vor. Teil 2 reist nach Köln, Dortmund, Mainz und Gummersbach, um die Technologiezentren an Rhein und Ruhr zu sichten. Überraschungen hat auch der Südwesten parat, von dem Teil 3 berichtet – aus Darmstadt und Stuttgart ebenso wie aus dem beschaulich-umtriebigen Bad Orb. Teil 4 geht schließlich in den Postleitzahlenbereich 8 und 9 nach Bayern und Thüringen: Auch außerhalb von München bekommen Gründer gute Unterstützung. Sonderbeiträge geben außerdem Auskunft über die Innovations- und Gründerzentren in Österreich und die dortige Start-up-Szene.

Mit den folgenden Maßnahmen können Sie die Innovationskraft Ihrer Organisation pushen:

Mitarbeiter mit der Marktrealität konfrontieren

Bringen Sie Ihre Mitarbeiter in Situationen, in denen sie erleben, was in den Märkten „abgeht“, z.B.

  • in den Schwellenländern,
  • bei den Technologieführern,
  • in verwandten Branchen sowie
  • bei Unternehmen, die die Marktentwicklung verschlafen haben.

Setzen Sie (insbesondere) Ihre Führungskräfte diesen Realitäten aus, denn Menschen ruhen sich gerne auf Erfolgen aus.

Querdenker einstellen und fördern

Belohnen Sie Quer- und Vordenker – selbst wenn ihre Ideen nicht umsetzbar sind. Ihre Mitarbeiter inklusive Führungskräfte müssen spüren: „Die Suche nach neuen Lösungen und Wegen ist von unseren Chefs erwünscht.“

Mitarbeitern erlauben, Regeln zu brechen

Regeln, Strukturen und definierte Prozesse sind keine Selbstzwecke. Sie haben nur so lange einen Wert, wie sie dem Erreichen der Ziele dienen. Sie dürfen/müssen regelmäßig hinterfragt werden. Vermitteln Sie Ihren Mitarbeitern dieses Denken!

Scheitern und Fehlversuche gestatten

Loben (und belohnen) Sie Mitarbeiter, die Neues wagen und kalkulierte Risiken eingehen – selbst wenn ihre Versuche nicht erfolgreich sind. Denn wenn Ihre Mitarbeiter Angst haben („Wenn es nicht klappt, werde ich vom Chef sanktioniert“), beschreiten sie keine neuen Wege.

Kreativ-Inseln in der Organisation schaffen

Richten Sie in Ihrer Organisation „Inseln“ ein, auf denen sich z.B. Ihre Nachwuchskräfte oder Experten aus verschiedenen Bereichen als „Unternehmer“ betätigen können. Solche „Start-ups“ oder „Creative Labs“ im eigenen Unternehmen generieren oft großartige Ideen und Business-Modelle.

Fazit: Das Management zur Innovation pushen

In vielen Unternehmen wird in Meetings nur die Agenda mit den dringlichen Dingen abgearbeitet. Dort besteht weder Raum noch Zeit für Zukunftsfragen. Sprechen Sie in Meetings gezielt auch solche Fragen an:

  • Welche neuen (technologischen) Entwicklungen gibt es/könnte es in naher Zukunft geben?
  • Was bedeuten diese für uns?
  • Wie könnten sie weitergehen?
  • Welche Chancen/Gefahren ergeben sich hieraus für uns?

Nur wenn Sie Ihr Management zwingen, sich mit solchen Zukunftsfragen zu befassen und ihm signalisieren „Ich erwarte das von euch“, tun dies die „Macher“ in der Regel auch. Ansonsten ist die Gefahr groß, dass sie im Alltagsgeschäft versinken und sich mit ihren Teams rein auf das Optimieren des Bestehenden beschränken – auch weil dies kurzfristig meist mehr Rendite bringt. Das heißt: Der kurz- und eventuell mittelfristige Erfolg Ihres Unternehmens ist zwar gesichert, anders sieht es aber bezüglich des langfristigen Erfolgs im Markt aus. Denn dieser verändert sich in immer kürzeren Zyklen radikal.

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