Service-Provider in der Telekommunikation

Jetzt müssen offene Diensteplattformen her

Von Dr. Jürgen Kaack, STZ-Consulting

Der Telekommunikationsmarkt folgt wie die meisten Märkte langjährigen Zyklen, die die Marktbedingungen für die Anbieter verändern. Über viele Jahre, bis zum Ende der 80er Jahre, verliefen die Änderungen eher langsam: durch eine Optimierung des analogen Netzes, z.B. mit der Verbreitung des Fax-Dienstes in den 80er Jahren und dann mit der Entwicklung von ISDN. Auf der Anbieterseite gab es neben einigen Nischenanbietern nur die amtlich bestellten Dienstleister (Incumbants) wie z.B. die damalige Post. Ein Rückblick.

Ende der 80er Jahre gab es eine einschneidende Änderung einerseits auf der technologischen Seite durch die Entwicklung des digitalen Mobilfunks und zum anderen durch die Liberalisierung des Marktes und die Vergabe von zunächst einer und später weiteren Lizenzen für den Betrieb von Frequenzbändern. Da die analogen Vorgängernetze mit teuren Endgeräten und hohen Tarifen verbunden waren, gab es im analogen C-Netz maximal 180.000 Teilnehmer.

Neuer Markt digitaler Mobilfunk

Der Markt des digitalen Mobilfunks war somit in mehrfacher Hinsicht jungfräulich und offen für eine Gestaltung der Marktbedingungen. Für eine schnelle Marktdurchdringung mussten neben der Vergabe von Lizenzen neue Wege eingeschlagen werden.

Die Etablierung von Service-Providern war ein solcher Schritt. Die zumindest teilweise innovativen Diensteansätze und die Entwicklung von neuen Vertriebskanälen hat die Marktdurchdringung des digitalen Mobilfunks erheblich beschleunigt. Man konnte neue Vermarktungskonzepte erproben und bei Erfolg multiplizieren.

Diese gestalterischen Freiheiten waren für den Telekommunikationsmarkt Neuland. Die Erfolgsfaktoren für den „klassischen“ Service-Provider im Mobilfunk sind das schnelle Erreichen einer kritischen Masse im Kundenstamm, effiziente und weitgehend automatisierte Prozesse (Workflow-System) und eine Differenzierung von Wettbewerbsangeboten, um den Wettbewerb über den Preis zu beschränken. Mit der Annäherung an eine Penetration von 100 % nahm die Bedeutung der Service-Provider für die weitere Marktentwicklung ab.

Kundenklau statt Neugeschäft

Mittlerweile nähert sich die Penetrationsrate in Deutschland einem Wert von 150 % an und wächst weiter. Innovationen – insbesondere von Apple mit dem iPhone und dem iPad – haben der mobilen Datennutzung neue Impulse gegeben. Tatsächliches Wachstum ist bei Zweit- oder Drittkarten sowie insbesondere bei mobilen Datendiensten und SIM-Karten für die Nutzung von Datendiensten zu beobachten. Bei geeignetem Marketing-Ansatz findet dieses Wachstum bevorzugt im eigenen Kundenstamm statt.

Erstaunlicherweise haben die Service-Provider ihr Marktverhalten aus der Wachstumsphase weiterhin beibehalten. Bei entsprechend hoher Penetration kann aber mit Marketing-Aktionen aus der Wachstumsphase kaum Neugeschäft generiert werden. Stattdessen wird der Wechsel von Kunden stimuliert.

Für die Wirtschaftlichkeit bedeutet dies, dass die Margen deutlich sinken. Dies wurde durch die Konsolidierung und eine steigende Reihe von Übernahmen deutlich. In dieser Phase haben viele der verbliebenen Service-Provider die Anzahl der eigenen Shops weiter erhöht, als ob auf diesem Wege eine signifikante Marktausweitung möglich wäre. Dabei sind der Aufbau und die Unterhaltung eigener Shops mit hohen Kosten verbunden, die sich bei sinkenden Margen in einem Commodity-Geschäft kaum wieder einspielen lassen.

Konsolidierung nach starkem Wachstum

Die Bedeutung der Service-Provider für die Netzbetreiber hat nach dem Jahrhundertwechsel entsprechend abgenommen, sodass sich die Verhandlungsposition der Service-Provider gegenüber den Netzbetreibern vermutlich verschlechtert hat.

Aus Sicht der Netzbetreiber ist in einem zunehmend gesättigten Markt die Erzielung einer möglichst hohen eigenen Wertschöpfung und die Möglichkeit zur Vermarktung ergänzender Dienste an bestehende Kunden von zunehmender Bedeutung. Die Service-Provider hätten vermutlich frühzeitiger auf die veränderten Marktbedingungen reagieren und ihr Geschäftsmodell weiterentwickeln müssen, z.B. durch verstärkte Kundenbindung und die Entwicklung eigener Dienste mit erkennbarem Nutzen. Die Bindung von bestehenden Kunden ist in der Regel immer wesentlich kostengünstiger als die Akquisition neuer Kunden, insbesondere wenn neue Kunden überwiegend durch einen Wechsel von einem Anbieter zum nächsten (Churn) entstehen.

Den Netzbetreibern ist es in den letzten Jahren zum Teil durch eine geschickte Mehrmarkenpolitik (Discount-Marken) gelungen, den Zielgruppenfokus auszuweiten, ohne die Margen der eigenen Dienste zu schmälern, und somit Marktpotenziale aus Bereichen zu akquirieren, die traditionell von den Service-Providern bedient wurden.

Neu sind nurmehr Reseller

Seit der Mobilfunkmarkt seine bisherige Umsatzspitze 2005 erreichte, sinkt das Marktvolumen leicht. Deutliche Anstiege verzeichnen die mobilen Datendienste. Gleichbleibend hohe Kosten und sinkende Umsätze haben im Service-Provider-Markt zu Konsolidierungen geführt, so dass von der Vielzahl der Anbieter aus der ersten Hälfte der 90er Jahre nach 2010 nur noch wenige netzbetreiberunabhängige Service-Provider übrig geblieben sind.

Durch Übernahmen auf der Strecke geblieben und heute weitgehend nicht mehr bekannt sind einige der damaligen Anbieter, wie z.B. Axicon, Bosch Telecom Service, DekraTel, unicom, Proficom, Martin Dawes, Talkline, Telco oder TMG. Übrig geblieben von den ursprünglichen Service-Providern sind nach den zahlreichen Übernahmen und Fusionen im Wesentlichen mobilcom-debitel, Drillisch und The Phone House Telecom.

In den späten 90er Jahren und nach 2000 hat sich eine Reihe von Mobilfunk-Resellern als Discount-Anbieter neu etabliert, wie z.B. Base, Congstar oder Simply. Discount-Anbieter sollen die Marke der Mobilfunknetzbetreiber abstützen und neue Marktsegmente im Bereich der preissensiblen Kunden erschließen.

Mobile Virtual Network Operator
Teilweise werden diese Reseller auch als MVNOs (Mobile Virtual Network Operator) bezeichnet, obwohl die Weiterentwicklung zu einem „echten“ MVNO, d.h. einem Mobilfunkanbieter mit eigenem Kernnetz aber ohne eigenes Funkanschlussnetz bislang nicht erfolgt ist. Der MVNO hätte allerdings die Chance, anstatt des reinen Wiederverkaufs fertiger Vorprodukte eigene Dienste und Applikationen zu realisieren und so eine weitergehende Differenzierung zu ermöglichen.

Geschäftsmodelle kopieren klappt nicht

Nach dem großen Erfolg im Mobilfunkmarkt folgte mit der Öffnung des Marktes der Festnetztelefonie ein Strohfeuer durch Anbieter, die den Mobilfunkmarkt verpasst hatten und nach einem ähnlichen Modell (Preselection) einstiegen. Aber der Markt der Festnetztelefonie hat andere Rahmenbedingungen und folgt anderen Regeln.

Mit einer langjährig fast konstanten Durchdringung von 98 % der Haushalte handelt es sich schon lange nicht mehr um einen Wachstumsmarkt. Auch das Marktvolumen ist schon seit Längerem leicht rückläufig. Für die Inhaber der Anschlussnetze, primär also die Deutsche Telekom, ist der Anreiz zur Zusammenarbeit weit geringer als zu Beginn des digitalen Mobilfunks, da keine neuen Marktsegmente erschlossen werden können. Gleichzeitig sind die Wechselanreize gering und die Produktdifferenzierung überwiegend auf die Tarifgestaltung beschränkt.

Dies hat dazu geführt, dass viele der ab Mitte der 90er Jahre in den Preselection-Markt eingestiegenen Unternehmen (insbesondere aus dem Bereich der Energieversorger) das Geschäft nach zum Teil empfindlichen Verlusten wieder aufgegeben haben. Beispiele für Neueinsteiger in den Festnetzmarkt sind Vebacom und RWE-Telliance, die sich nach einigen Jahren zu o.tel.o zusammengeschlossen hatten und wiederum von Arcor geschluckt wurden, um später bei Vodafone integriert zu werden. Nur die Marke o.tel.o wurde später zu Marketing-Zwecken wiederbelebt. Auch eine Marke TelDaFax hat (aus anderen Gründen, aber mit dem falschen Geschäftsmodell) nicht überlebt.

Bestand haben im Festnetzmarkt solche alternativen Anbieter, die von Anfang an auf eine eigene Infrastruktur gesetzt haben und als Pendant zum MVNO zu sehen sind. Beispiele für diese Gruppe von Unternehmen sind NetCologne, M-net, EWE-tel, Wilhelm.tel und Versatel (hervorgegangen durch den Zusammenschluss bzw. die Übernahme von zahlreichen Citycarriern und tesion) sowie VSE-net und Pfalzkom.

Einige dieser Unternehmen haben sich von Anfang nicht auf das Modell eines Verbindungsnetzbetreibers beschränkt, sondern sind meist direkt mit Glasfaserhausanschlüssen auch als Anschlussnetzbetreiber tätig geworden (insbesondere gilt dies für NetCologne und Wilhelm.Tel). Andere Festnetzbetreiber haben sich auf den Markt mit Geschäftskundenprodukten spezialisiert (z.B. Versatel, Dokom21, Manet oder teliko]).

Wachstumstreiber Internet

Die nächste bedeutende Welle im Telekommunikationsmarkt entsteht mit dem Markt der Breitbandanschlüsse und der Breitbandanwendungen (z.B. Cloud-Dienste). Insbesondere solche Festnetzanbieter mit einem eigenen Anschlussnetz sind in diesem Segment gut positioniert.

Obwohl der Breitbandmarkt mit einer jährlichen Steigerung von ca. 10 % zu den wenigen starken Wachstumssegmenten gehört und Anfang 2013 fast 70 % aller Anschlüsse immer noch weniger als 6 MBit/s im Downstream zur Verfügung haben, sind die Tendenzen zur Bildung neuer Breitbandanbieter noch verhalten. In Hessen entstehen insbesondere auf Kreisebene neue Infrastrukturgesellschaften, und auch aus den Niederlanden kommen Unternehmen mit geeigneten Geschäftsmodellen nach Deutschland, aber es gibt keine neue Marktbewegung wie Anfang der 90er Jahre im Mobilfunk. Dieser Markt ist allerdings durch seine regionale Zersplitterung und hohe Investitionskosten auch deutlich schwerer zu erschließen.

Fazit: Nischen für mittelständische Dienstebetreiber

Nicht nur auf der Infrastrukturebene sind die unternehmerischen Aktivitäten im Breitbandmarkt zurückhaltend, auch bei den Dienstebetreibern ist in Deutschland noch kaum eine Bewegung festzustellen. Durch den über viele Jahre gelebten und „gelernten“ Zustand vertikal geschlossener Wertschöpfungsketten ist es für unabhängige Dienstebetreiber schwierig, die erst auf offenen Diensteplattformen erfolgreich agieren können.

Die grundsätzlichen Chancen für Dienstebetreiber zeigen sich in den App-Stores für Apple und Android-Systeme. In den Niederlanden besteht eine längere Tradition mit offenen Plattformen und dort haben sich in der Folge einige Hunderte mittelständisch geprägter Dienstebetreiber herausgebildet, die Angebote für unterschiedliche Bedürfnisse haben. Neben den eher geschäftlichen Diensten im Bereich des Hostings sowie von Backup und Security-Solutions sind es Angebote aus dem Bildungsbereich, für das Gesundheitsapplikationen, für Unterhaltung und nichtkommerzielle Dienste von Sport- und Kulturinstitutionen. Diese Entwicklung wird vermutlich zeitversetzt auch in Deutschland erfolgen und kann zu einer erneuten Stimulation des Telekommunikationsmarktes führen.

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