IT-Arbeitsmarkt in der Corona-Krise: Warum Bootcamps in der Krise boomen

Die Pandemie trifft auch den Arbeits­markt für IT-Fach­kräfte und In­formatiker: Die Zahl der Arbeits­losen ist gestiegen. Die Ent­wicklung ist nicht dramatisch, aber spür­bar – eine gute Gelegen­heit für Weiter­bildungs­maßnahmen. Für die Kollegen in Kurz­arbeit könnten Boot­camps eine schicke Chance sein.

Covid-19 schickt Coder auf Jobsuche

Von Mehmet Toprak

Für Robin S. war das schon ein kleiner Schock, als er den Telefonanruf mit der Absage erhielt. Der 31-jährige Informatikspezialist aus Köln hatte sich Ende März bei einem großen Mittelständler als Senior-Projektleiter beworben. Zwei Vorstellungsgespräche im April waren gut verlaufen. Er hätte alle IT- und Business-Projekte des Unternehmens betreuen sollen, also den anstehenden Roll-out der unternehmenseigenen Cloud organisieren, die IT-Sicherheit gewährleisten, den Inhouse-Support leiten usw. Den passenden Universitätsabschluss, die Zusatzausbildung, die nötigen Skills und Qualifikationen, das alles hat er gehabt und die Chemie mit dem Geschäftsführer im Bewerbergespräch hatte auch gestimmt. Von irgendwelchen Corona-bedingten Einstellungsstopps oder Umsatzeinbrüchen war keine Rede gewesen. Der Geschäftsführer hatte ihm kurz nach dem Vorstellungsgespräch sogar noch gesagt, dass man ihn unbedingt haben wolle.

Notgebremste IT-Projekte

Drei Wochen später kam plötzlich der Anruf, dass wegen Corona jetzt doch größere IT-Investitionen „on hold“ seien, das gelte leider auch für Neueinstellungen. Im September dann die endgültige Absage. Seitdem hat Robin S. weitere Bewerbungen geschrieben und Stellengesuche platziert – bisher ohne Erfolg. „Das ist schon komisch, wenn man sich jahrelang als heiß umworbener IT-Spezialist fühlen darf und dann plötzlich keinen Job mehr hat“, sagt Robin S. So wie ihm geht es in den letzten Monaten immer mehr Menschen aus IT-Berufen.

Kann das wirklich sein? Gibt es steigende Arbeitslosigkeit bei IT-Spezialisten? Müssen sich die von Unternehmen bisher so umworbenen Hightech-Gurus jetzt plötzlich Sorgen um ihre berufliche Zukunft machen? Tatsache ist, dass die Arbeitslosenzahlen im Vergleich zum Vorjahr aufgrund der Corona-Pandemie nicht nur allgemein, sondern eben auch im Hightech-Bereich gestiegen sind. So meldete die Bundesagentur für Arbeit, im Mai 2020 sei die Arbeitslosigkeit bei den IT-Berufen gegenüber dem Vorjahresmonat um knapp 33 % gestiegen. Im gesamten Jahr 2019 waren die Arbeitslosenquoten sehr niedrig gewesen. 3,5 % in der Informatik, 1,9 % im Bereich IT-Systemanalyse, Anwenderberatung und IT-Vertrieb, 2,3 % bei Softwareentwicklung und Programmierung. Nur im Bereich IT-Netzwerk und -Administration lag die Quote bei 3,9 %, ein immer noch niedriger Wert.

Angesichts dieses Ausgangsniveaus zeigt sogar eine Steigerung um mehr als 30 % noch keine besorgniserregende Entwicklung an. Sie ist aber durchaus spürbar. Die Zahlen vom Herbst 2020 belegen zudem, dass sich die Situation seit dem Frühjahr kaum gebessert hat. Auch wenn zu Redaktionsschluss noch keine berufsbezogenen Zahlen vorlagen, die Gesamtzahlen sind deutlich. So hat sich die Zahl der Arbeitslosen gegenüber November 2019 um 519.000 erhöht.

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Schwarz auf Weiß
Dieser Beitrag erschien zuerst in unserer Heise-Beilage „IT- und Technologie­unternehmen stellen sich vor“. Einen Über­blick mit freien Downl­oad-Links zu sämt­lichen Einzel­heften be­kommen Sie online im Presse­zentrum des MittelstandsWiki.

Weniger Jobs, mehr Kurzarbeit

Detlef Scheele, Vorstandsvorsitzender der Bundesagentur für Arbeit, erklärte am 1. Dezember bei der monatlichen Pressekonferenz in Nürnberg, die Betriebe seien angesichts der aktuellen Einschränkungen „wieder zurückhaltender bei der Personalsuche“ und hätten im November für deutlich mehr Mitarbeiter Kurzarbeit gemeldet. Auch in der Schweiz steigen übrigens die Zahlen. Ende April 2020 verzeichneten die Arbeitsvermittlungen knapp 29 % mehr arbeitslose Informatiker als im Vorjahresmonat.

Zurück nach Deutschland. Indeed Hiring Lab, ein Team von Arbeitsmarktexperten und Analysten, berichtet über einen Rückgang bei den Stellenausschreibungen, vor allem bei Jobs für Softwareentwicklung, Data Scientists oder Business Analysts. Einen geringeren Rückgang der Stellenausschreibungen sehen sie in den Bereichen IT-Support und IT-Infrastruktur. Logischerweise steigt auf der anderen Seite die Zahl derer, die ihre Dienste und Spezialkenntnisse in Jobbörsen anbieten. Laut indeed suchen Softwareentwickler oder Programmierer für #C und Java besonders häufig nach Jobs.

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Stellenausschreibungen als Indikator: Die Arbeitsmarktportal indeed verzeichnen einen im Vorjahresvergleich deutlichen Rückgang der Angebote für IT-Berufe. Besonders betroffen sind die Bereiche Data Analytics und Informationsmanagement. (Bild: indeed)

Die gegenläufige Entwicklung

Allerdings sind die Zahlen trotz des spürbaren Anstiegs immer noch relativ niedrig. Wen es erwischt, das hängt auch stark von der Branche ab. Da IT-Experten heutzutage in so ziemlich allen Branchen tätig sind, überrascht es nicht, dass Branchen, die wegen Corona unter Druck geraten sind, zur Zeit auch keine IT-Fachkräfte einstellen.

Wie stark die Situation von der Branche abhängt, das spürt man bei Fujitsu. Der Konzern versorgt seine Unternehmenskunden mit einer breiten Palette an IT-Lösungen und -Dienstleistungen. Dazu gehören Software- und Cloud-Lösungen ebenso wie Großrechner, Server, Desktop-PCs und Notebooks. Dementsprechend ist die Auftragslage bei Fujitsu ein guter Indikator für die Entwicklung in den einzelnen Branchen. „Gerade bei Kunden aus Bereichen wie Luftfahrt oder Touristik ist die Nachfrage bei IT-Produkten und Services stark gesunken“, erklärt Fujitsu-Manager Rupert Lehner (Head of Central and Eastern Europe & Products Europe).

Andererseits hat Corona laut Lehner die bereits vorhandenen Trends massiv verstärkt: „Erstens das mobile Arbeiten – wobei mobil auch die Arbeit im Homeoffice umfasst. Zweitens der Einsatz von Cloud-Services, meist im Rahmen von Hybrid-IT. Drittens der Bedarf nach der schnellen und flexiblen Bereitstellung von Diensten.“ Wer als IT-Experte an solchen Lösungen mitarbeitet, muss sich um zu wenige Arbeit keine Sorgen machen. Fujitsu selbst will von Einstellungsstopps nichts wissen. So sagt Lehner: „Wir haben mehrere hundert Stellen ausgeschrieben. Insbesondere in den Bereichen IT-Services, strategische Beratung und SAP.“

Die Lage ist also keineswegs so düster, wie Pessimisten vermuten könnten. Nach wie vor gilt: IT-Spezialisten sind im Prinzip gesuchte Fachkräfte mit guten Berufschancen. Allerdings zeigt die Entwicklung der letzten Monate, dass die von hohen Gehältern verwöhnten und von Headhuntern gesuchten IT-Spezialisten sich nicht mehr allzu sicher fühlen können.

Das liegt auch daran, dass sich das Know-how in den Technikberufen schneller wandelt als anderswo. Wer beispielsweise lange als IT-Administrator in einem großen Unternehmen tätig war, hat möglicherweise den Anschluss an die allerneuesten Entwicklungen verpasst. Denn in der Informatik ticken die Uhren bekanntlich schneller als in anderen Branchen, und Trends wechseln sich schneller ab. Wer vor fünf Jahren noch ein gesuchter Cloud-Experte war, gehört heute nicht gerade zum alten Eisen, sollte sich aber mit aktuellen Themen wie neuromorphem Rechnen, Blockchain oder Deep Learning auseinandersetzen.

Weiterbildung im Bootcamp

Die Corona-Pandemie hat den IT-Jobmarkt nicht grundlegend erschüttert – sie hat aber immerhin ein kleines Beben ausgelöst. Alte Sicherheiten werden plötzlich brüchig. Wilfried Hüntelmann, Vorsitzender der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit in München, hat Anfang Dezember bei seiner Präsentation der Lage im November darauf hingewiesen, dass viele Betriebe „aufgrund des Teil-Lockdowns erneut gezwungen sind, Kurzarbeit anzumelden, um so an ihrem Personal festzuhalten.“ Die Kurzarbeit bietet eine gute Gelegenheit zur Weiterbildung. Stark im Trend liegen derzeit die sogenannten Bootcamps oder Coding-Bootcamps. Dort wird in sehr kurzer Zeit sehr viel Know-how vermittelt – eine Art Druckbetankung für Lernwillige. Wer viel Motivation und Ehrgeiz mitbringt, für den eröffnet sich eine echte Chance.

Ein Beispiel für das Bootcamp-Konzept ist Le Wagon. Hier kann man sich in einem neunwöchigen Vollzeitkurs oder einem 24-wöchigen Teilzeitkurs zum Data Scientist oder zum Webentwickler ausbilden lassen. Le Wagon ist ein internationaler Anbieter mit Niederlassungen rund um den Globus. In Deutschland betreibt Le Wagon Campusse in München und Berlin.

Auch der Hamburger Anbieter Neue Fische hat ein ähnliches Programm und bildet zum Data Scientist, Web Developer oder Java-Entwickler aus. Die dreimonatigen Kurse finden in Hamburg, Köln oder München statt. Auch Remote-Kurse sind möglich. Der unkonventionelle Ansatz zeigt sich in der avisierten Zielgruppe. Neue Fische nennt explizit „Frauen, Studienabbrecher, Zeitsoldaten und Quereinsteiger“ als mögliche Zielgruppen.

„Intensivkurse & Bootcamps in Webentwicklung, UX/UI Design, Data Analytics & Cybersecurity“, so lautet das Motto von Ironhack. Der Anbieter hat neben Corona-bedingten Fernkursen, etwa zum Thema Cybersecurity, auch Präsenzkurse auf dem Campus im Programm. Die Namen der Städte, in denen Ironhack vertreten ist, lesen sich wie eine Liste der Lieblingsreiseziele der Hipster-Community: Paris, São Paulo, Mexico City, Madrid, Barcelona, Amsterdam, Miami, Lissabon – und Berlin. Damit man sich die Ausbildung im schicken Campus auch leisten kann, hat Ironhack sogar eigene Finanzierungskonzepte im Angebot.

Egal, ob Hipster-Bootcamp oder eine schnöde Weiterbildungsmaßnahme der Arbeitsagentur, zusätzliche Tech-Skills sind auch in Corona-Zeiten der beste Schutz gegen Arbeitslosigkeit.

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