New Work in Österreich: Wer von flexibler Arbeit profitiert

Das Grazer Becken und Bangalore liegen heute nur einen Mausklick entfernt. Telearbeit umfasst mehr und mehr projektbezogene virtuelle Teams über Länder und Zeitzonen hinweg. In diesen hybriden, ephemeren Arbeitswelten braucht es gut organisierte Homeoffice-Lösungen. Und eiserne Selbstdisziplin.

Leistung zählt, Präsenz egal

Von Friedrich List

Hinter dem Schlagwort „New Work“ verbirgt sich mehr als Teams, die sich nur über Skype, Teams und andere digitale Plattformen sehen und austauschen. New Work steht für ein anderes Arbeiten, neue Führungsstile, größere Gestaltungsspielräume und mehr Eigenverantwortung. Die Autoren der New-Work-Studie des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO von 2019 definieren New Work als „Arbeitsweise, die durch ein hohes Maß an Virtualisierung von Arbeitsmitteln, Vernetzung von Personen, Flexibilisierung von Arbeitsorten, -zeiten und -inhalten gekennzeichnet ist.“

Der Wandel der Arbeitswelt

Treiber dieser Entwicklung sind Trends wie die Digitalisierung, die Globalisierung, die Fortschritte in künstlicher Intelligenz oder das Internet der Dinge. Sie verändern die inneren Strukturen von Unternehmen und sorgen dafür, dass sich deren Außengrenzen auflösen. Im Interview mit dem Wüstenrot-Magazin „Mein Leben“ beschreibt New-Work-Experte Prof. Michael Bartz die Entwicklung so: „Kunden wirken tiefer mit, Lieferanten werden stärker integriert, es werden temporäre Mitarbeiter aufgenommen.“ Hinzu kommen eher flüchtige Beschäftigungsformen wie Zeitarbeit, Freelancing oder Crowd- und Clickworking. „Es wird also bunter. Das führt drittens dazu, dass sich die Organisationen auch intern verändern. Manche Firmen – vor allem kleinere – setzen inzwischen ganz und gar auf Netzwerkorganisationen. Viertens verändert sich auch der Arbeitsplatz, denn durch die Digitalisierung ist es möglich, von überall zu arbeiten.“

Eine Folge davon ist, dass die Entscheidungsprozesse komplexer und anspruchsvoller werden. Hinzu kommt ein Generationenwandel bei den Erwartungen an Arbeitsplatz und Arbeitgeber. Millennials und Angehörige der Generation Z erwarten mehr Mitbestimmung, mehr Freiraum bei der Arbeitsgestaltung und auch bessere Möglichkeiten, Arbeit und Familie miteinander zu verbinden. Das Gehalt ist nicht mehr die wichtigste Motivation, entscheidend sind auch ein gutes Betriebsklima und ein respektvoller Umgang. Sie stellen auch höhere Anforderungen an das ethische Verhalten des Arbeitgebers, vorzugsweise bei Themen wie Nachhaltigkeit oder Gleichstellung.

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Schwarz auf Weiß
Dieser Beitrag erschien zuerst in unserer Heise-Beilagenreihe „IT-Unternehmen in Österreich stellen sich vor“. Einen Überblick mit freien Download-Links zu sämtlichen Einzelheften bekommen Sie online im Pressezentrum des MittelstandsWiki.

Frauen machen den Anfang

New Work als Konzept ist wesentlich älter als die Technologien, die heute die Entwicklung in diese Richtung treiben. Ansätze finden sich bereits in der Genossenschaftsbewegung. Eine Pionierin von New Work avant la lettre ist die deutsch-britische Unternehmerin Stephanie „Steve“ Shirley, die als Kind aus Deutschland flüchten musste, in den 1950er Jahren begann, auf eigene Faust Software und Computer zu entwickeln und 1962 die Softwarefirma F International gründete. Fast alle Beschäftigten waren Frauen, fast alle waren freiberuflich tätig und arbeiteten flexibel von zu Hause aus, vor allem Mütter, aber auch Menschen mit Behinderungen. Die Kommunikation fand per Post und per Telefon statt, Faxgeräte gab es damals noch nicht. Shirley programmierte u. a. die Blackbox der Concorde. Ihr Startkapital hatte 6 Pfund betragen. In seinen Glanzzeiten war das Unternehmen 2,8 Milliarden Pfund wert.

Allerdings dauerte es lange, bis das Beispiel wirklich Schule machte. Der entsprechende Wandel hat jedoch schon lange vor Corona eingesetzt. Bereits zu Zeiten der New Economy um die Jahrhundertwende und in den frühen 2000er Jahren setzten viele Unternehmen in der IT- und Kommunikationsindustrie auf neue Arbeitsformen, schlanke Hierarchien und die Möglichkeit, an einem oder mehreren Tagen in der Woche von zu Hause aus zu arbeiten.

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Great Place to Work: 2022 wurde Lidl Österreich zum neunten Mal in Folge als einer der besten Arbeitgeber Österreichs ausgezeichnet. Zu den Errungenschaften des Jahres gehören eine sechste Urlaubswoche, mehr Homeoffice und versuchsweise die Vier-Tage-Woche für Bürobeschäftigte. (Bild: Great Place to Work Österreich)

New-Work-Beispiele aus Österreich

Inzwischen haben diese neuen Arbeitsformen auch im Einzelhandel, in Handwerksbetrieben oder bei Energieversorgern Einzug gehalten. Lidl Österreich gab im April 2022 bekannt, dass das Unternehmen eine Vier-Tage-Woche für ausgewählte Bürobeschäftigte testen werde. Diesen Angestellten bietet Lidl an, die normale Arbeitszeit von 38,5 Stunden in einer verkürzten Vier-Tage-Woche zu absolvieren. Außerdem führte das Unternehmen die sechste Urlaubswoche für Bürokräfte ein.

Wien Energie begann schon im Oktober 2020 mit der Einführung flexibler Arbeitszeiten. Wenn kein Lockdown angeordnet wird, dürfen 60 % der Beschäftigten an drei Tagen in der Woche arbeiten, wann und wo sie wollen. Wichtig ist nur, dass das zwischen 6 und 22 Uhr geschieht. Das Unternehmen hat sich umorientiert von einer Präsenzkultur zu einer leistungsbezogenen Arbeitskultur. Auch das Arbeitsumfeld wurde umgestaltet und umfasst nun Arbeitsinseln, Ruhebereiche und Besprechungszonen.

Der Getränkehersteller Vöslauer fing im Dezember 2019 an, ein flexibles Arbeitszeitmodell einzuführen. Mitarbeiter können an sechs Tagen im Monat im Homeoffice arbeiten und sitzen sonst an sogenannten Shared Desks, also an einem Gemeinschaftstisch, der über Steckplätze für Laptops verfügt. Für Videokonferenzen gibt es eigene Bereiche. Unterlagen bewahrt man im Spind auf.

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Die Vöslauer Quelle in 660 m Tiefe speist sowohl das Thermalbad als auch die Mineralwasser-Abfüllanlage. Telearbeit aus dem Kurbetrieb wäre heutzutage problemlos machbar. Für die Unternehmen zählt vor allem das Ergebnis. (Bild: Vöslauer Mineralwasser)

Selbst Handwerksbetriebe wie die Tischlerei Schneider in Mariahof in der Steiermark stellen auf derartige Modelle um. Das Unternehmen gibt seit Herbst 2021 den Beschäftigten die Möglichkeit einer Vier-Tage-Woche: Sie haben drei Tage frei und müssen dafür an vier Tagen zehn Stunden arbeiten. Schneider wollte damit Mitarbeiter werben und war damit auch erfolgreich. Die freien Stellen konnten besetzt werden, und das Unternehmen hat von der Vier-Tage-Woche profitiert. Juniorchef Johannes Forstner sagte im Interview mit der Kleinen Zeitung, er wolle die Vorteile nicht mehr missen: „Wir haben keine negativen Veränderungen bei der Arbeitsleistung feststellen können – eher im Gegenteil: Die Stimmung ist besser und die Motivation höher. Außerdem denke ich, dass Mitarbeiter mehr Entgegenkommen zeigen, wenn das umgekehrt auch der Arbeitgeber tut.“

Diese Modelle mögen sich nicht für alle Branchen gleichermaßen eignen. Aber auf der anderen Seite erwarten mehr und mehr Bewerberinnen und Bewerber genau diese Flexibilität. In Zeiten des Fachkräftemangels müssen sich Arbeitgeber stärker auf den Prüfstand stellen lassen als früher und treffen nicht selten auf Leute, die ihren Wert ganz gut kennen. Für Unternehmen entstehen hier zusätzliche Kosten. Eine Studie der Unternehmensberatung Deloitte Österreich von 2019 beziffert die durchschnittlichen Fluktuationskosten auf rund 15.000 Euro pro Stelle. Dieser Betrag steigt, je häufiger eine Position neu ausgeschrieben werden muss.

Arbeit, Urlaub und Arbeit im Urlaub

In seiner Flexible-Working-Studie 2022 untersucht das Beratungsunternehmen im Zweijahresrhythmus zudem, wie verbreitet flexible Arbeitsformen in Österreich sind. Deloitte Österreich arbeitet dabei mit den Universitäten Wien und Graz zusammen und befragt rund 600 Firmenvertreter. Die aktuelle Studie zeigt, dass der Umbruch in der Arbeitswelt keine vorübergehende Erscheinung ist: „Home Office ist gekommen, um zu bleiben.“ Juliana Wolfsberger, New-Work-Expertin bei Deloitte Österreich erklärt das so: „Die angespannte Arbeitsmarktsituation und steigende Ansprüche auf Arbeitnehmerseite treiben zusätzlich weitere Veränderungen an. So werden auch Modelle wie die Vier-Tage-Woche immer lauter diskutiert.“

Die meisten Unternehmen, die noch im Zeichen der Pandemie Homeoffice eingeführt haben, sind auch dabei geblieben. Im April 2020 hatte in 90 % der befragten Unternehmen etwa die Hälfte der Beschäftigten die Möglichkeit, im Homeoffice zu arbeiten. Inzwischen sind es 89 %. Dabei bleibt der Anteil derer, die zumindest zeitweise im Homeoffice arbeiten, unverändert hoch.

Zudem fragen mehr und mehr Neuzugänge, aber auch Bestandspersonal nach Homeoffice oder Remote Work. Viele wollen Arbeit, Urlaub oder sogar die zeitweise Arbeit aus dem Ausland miteinander verbinden. Doch während Arbeitgeber sich zusehends flexibel zeigen, fehlen passgenaue Regelungen im Arbeits-, Steuer- und Sozialversicherungsrecht. Zudem müssen Unternehmen auch weiterhin für klare Regeln und Strukturen sorgen. Von den Beschäftigten fordert New Work aber auch ein höheres Maß an Selbstdisziplin und ein gutes Zeitmanagement.

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Friedrich List ist Journalist und Buch­autor in Hamburg. Seit Anfang des Jahr­hunderts schreibt er über Themen aus Computer­welt und IT, aber auch aus Forschung, Fliegerei und Raum­fahrt, u.a. für Heise-Print- und Online-Publikationen. Für ihn ist SEO genauso interessant wie Alexander Gersts nächster Flug zur Inter­nationalen Raum­station. Außerdem erzählt er auch gerne Geschichten aus seiner Heimatstadt.

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