Vehicle-to-Grid-Kommunikation: Wer Smart Grids für Elektroautos entwickelt

Jedes Elektroauto, das neu auf die Straßen rollt, macht intelligente Netze dringender notwendig. Dass Schnittstellenstandards für die Vehicle-to-Grid-Kommunikation offen verfügbar sein sollten, leuchtet ein. OSS-BM-Workshops führen vor, wie sich auch dafür tragfähige Geschäftsmodelle finden lassen.

Smart Grid als Geschäftsmodell

Von Marc Mültin, OSBF, und der MittelstandsWiki-Redaktion

Im Zuge der Energiewende werden sich die bisherigen Übertragungs- und Verteilernetze grundlegend wandeln müssen. Der Umbau zum Smart Grid ist eine der anspruchsvollsten Aufgaben der Gegenwart. Intelligent sollen hier unabhängige Energieerzeugungseinheiten, Verbraucher, Speicher und Netzbetriebsmittel miteinander verknüpft und gesteuert sein.

Verbrauchen, speichern, rückspeisen

Ein unterstützendes und stabilisierendes Element eines solchen Systems dürfte das Elektroauto sein, und zwar in dreifacher Hinsicht: Erstens wären E-Fahrzeuge steuerbare Verbraucher, die im besten Fall hauptsächlich dann Strom beziehen, wenn gerade regenerative erneuerbare Energiequellen (EE) verfügbar sind, zweitens könnten sie als Speicher für überschüssigen EE-Strom dienen, der andernfalls abgeregelt werden müsste, und drittens könnten sie im Rückspeisefall selbst „Erzeugungseinheit“ sein (aus Netzsicht) und Netzdienstleister für die Behandlung von Spannungsschwankungen.

Bei derartigen Systemen, die zahlreiche verschiedene Elemente verbinden sollen, kommt den Schnittstellen entscheidende Bedeutung zu. Seit die Politik viele kleine Erzeuger in dieses Konzept einbinden will und die Gesellschaft den „Energieriesen“ zunehmend kritisch gegenübersteht, ist auch aus der Mitte der Ruf nach einer offenen Lösung zu vernehmen. Die Frage ist: Welches Geschäftsmodell kann ein Open-Source-Standard ergeben?

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Schwarz auf Weiß
Dieser Beitrag erschien zuerst in unserem Magazin zum Open Up Camp 2014. Einen Überblick mit Download-Links zu sämtlichen Einzelheften bekommen Sie online im Pressezentrum des MittelstandsWiki.

Vehicle to grid communication interface

Damit ein Elektroauto zu einem solchen Multitalent wird, bedarf es jedoch eines leistungsfähigen Kommunikationsprotokolls zwischen Fahrzeug und Ladesäule (sowie der dahinter liegenden Systeme). Dazu wird die weltweite Norm ISO/IEC 15118 entwickelt: „Road vehicles – Vehicle to grid communication interface“. Dieser Standard hat das Potenzial, die steigende Zahl an Elektroautos gewinnbringend in das Energienetz einzubinden.

Im Rahmen des Forschungsprojekts iZEUS wird der Ladekommunikationsstandard am Karlsruher Institut für Technologie implementiert und seit Oktober 2013 in einem Live-Test mit einem rückspeisefähigen Elektroauto in das Energiemanagement eines Smart Homes integriert. Erste aussagekräftige Ergebnisse zu den Potenzialen des Standards sind also zeitnah zu erwarten (mehr dazu auf www.smart-v2g.info/blog). Daraus ließe sich leicht ein Spin-off gründen.

Dabei stellt sich genau die Frage: Sollte eine entsprechende Implementierung closed source vermarktet werden? (Firmen wie Vector Informatik für Daimler oder InSys für RWE haben es mit dem Vorstandard so gemacht.) Oder müsste nicht stattdessen eine fortgeschrittene Implementierung offengelegt werden? Dann könnten die Vorteile einer größeren Entwicklergemeinde greifen, die gemeinsam an einer stabilen und sicheren Version arbeitet.

Serie: Smart Grids

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Teil 1 fängt dort an, wo derzeit der Schuh drückt: Der Umstieg auf erneuerbare Energien macht bei vielen dezentralen Erzeugern die Netzstabilität zu einem schwierigen Balanceakt. Die erste Aufmerksamkeit gilt darum (Puffer-)Speichern, Smart Metern – und eben flexiblen Netzen. Das Schüsselstichwort hierzu lautet „Sektorenkopplung“. Teil 2 berichtet aus Nordrhein-Westfalen, welche konkreten Lösungen für Smart Grids dort bereits im Einsatz sind. Teil 3 geht in den Süden und berichtet, wie Bayern bis 2050 seine Energie CO₂-neutral erzeugen will. Ein Extrabeitrag berichtet vom Neubau des 50Hertz-Rechenzentrums, außerdem gibt es einen Smart-Grid-Report aus Österreich. Weitere Regionalreports sind in Vorbereitung. (Bild: EMH metering)

Geschäftsmodell gezielt angehen

Es steht also die konkrete Frage im Raum, welche Geschäftsmodelle es gibt, welche Open-Source-Lizenz tauglich ist und welche bisher noch nicht in Betracht gezogenen Vorteile ein „Going Open Source“ mit sich bringen würde.

Geschäftsmodell-Workshops gibt es mittlerweile zwar wie Sand am Meer – schließlich sind die Märkte eng und extrem schnell geworden, sodass ganze Branchen zusehen müssen, wo sie mit ihrem Business bleiben –, doch in Fällen wie diesen ist ein Rahmen gefragt, in dem sich speziell die Optionen von Open-Source-Modellen abklopfen lassen. Genau an diesem Punkt setzen die praxisorientierten BM-Workshops der Open Source Business Foundation (OSBF) an.

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Business Model Innovation
Die OSS-BM-Workshops beginnen mit einer strukturierten Analyse des aktuellen Geschäftsmodells, klopfen es auf innovative Trends ab und erarbeiten Entwicklungsmöglichkeiten und Veränderungen. Dabei wird über Muster diskutiert, die sich bei Business-Model-Pionieren und sogenannten Game Changers finden lassen, es wird über Business Model Design gesprochen und es wird ausprobiert, wie Open Innovation, Open Technology und Open Business Ideen und Produkte bzw. Services aufzeigen, mit deren Hilfe sich ein Geschäftsmodell innovativ weiterentwickelt werden lässt.

Grundsätzlich geschieht das alles gemeinsam im Team und wird online dokumentiert. Am Ende des Tages werden alle praktikablen Modifikationen priorisiert aufgelistet, komplett mit den verbundenen Kosten und Umsatzchancen. Und damit es nicht beim guten Willen bleibt, bietet die Open Source Business Foundation bei der anschließenden Umsetzung der Konzepte auf Wunsch auch eine langfristige Begleitung und passendes Coaching an.

Eine unverbindliche Voranmeldung ist jederzeit per E-Mail unter office@osbf.de möglich. Die OSBF koordiniert als Service einen passenden Termin und Veranstaltungsort.

Wichtigstes Werkzeug ist der Business Model Canvas der es den Teilnehmern ermöglicht, ein Geschäftsmodell aus neun grundlegenden Bausteinen aufzubauen und diese um innovative Elemente zu erweitern. Der Canvanizer steht jederzeit, auch nach dem Workshop, zur Verfügung und ermöglicht sogar das Arbeiten im verteilten Team.

Gezielt geht es dabei um die Integration von Impulsen und das Erkennen von Potenzialen, um gangbare Wege, Innovation in ein vorhandenes Geschäftsmodell zu bringen sowie ganz zentral um die Konzepte von Open Innovation, Open Technology und Open Business. Auf diese Weise rücken Möglichkeiten in den Blick, die bislang vielleicht nur verstellt waren, von App Stores und Augmented Reality über Haptic Device Feedback bis zu den neuen Wearables.

Fazit: Dual Licensing, Services und Plugins

Für das Vehicle-to-Grid Communication Interface könnten entsprechende Überlegungen in etwa so aussehen: Man könnte den Standard für nicht-kommerzielle Zwecke als OS-Implementierung bereitstellen; für die kommerzielle Verwendung würde eine Lizenzgebühr erhoben. Dies wäre ein sogenanntes Dual-Licensing-Modell, wie es z.B. auch bei MySQL zu finden ist.

Als reine Open-Source-Lösung ließe sich das Geschäftsmodell mit zwei unterschiedlichen Strategien aufbauen:

  • als Anbieter von Beratungsdienstleistungen, um die Implementierung beim Kunden zu integrieren (z.B. in das IT-System der Ladesäulen) oder
  • durch Verkauf von darüber hinausgehender, für den Kunden gewinnbringender Software (z.B. Plugins), die über ein Lizenzmodell verrechnet werden.

Denkbar wären u.a. Algorithmen, die das Ladeverhalten mehrerer E-Fahrzeuge unter diversen Zielvorgaben und Parametern optimieren (Netzanschlussleistung, Anzahl gleichzeitig ladender Fahrzeuge mit verschiedenen Batterieladezuständen und Fahrplänen, Einbeziehung lokal verfügbarer erneuerbarer Energien).

In jedem Fall schafft Open Source einfach mehr Vertrauen in eine Software, was unter Marketing-Gesichtspunkten nicht zu vernachlässigen ist. Nicht zuletzt ist der Zugewinn an Investitionssicherheit ein starkes Argument: Wo Closed-Source-Anbieter in Schwierigkeiten geraten und die Software nicht mehr weiter entwickeln, bleibt Open Source garantiert lebendig.

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