Quantencomputer: Was für eine Qubit-Karriere spricht

Quantencomputer läuten ein neues Zeitalter ein und bergen ungeahnte Möglichkeiten. Vorerst wird immer noch Physik gebraucht, doch schon jetzt öffnet sich der Blick auf Berufsfelder jenseits der Grundlagenforschung – für Leute unterschiedlichster Provenienz, die an IT-Lösungen der Zukunft arbeiten.

Karriere mit Qubits

Von Dirk Bongardt

Marvels Superheldenfilm „Ant-Man and The Wasp: Quantumania“ mag an den Kinokassen gefloppt sein, doch der Quantenmechanik gehört die Zukunft der Computertechnologie, da sind sich die Experten einig. Die Gesetze der Quantenphysik unterscheiden sich fundamental von denen oberhalb der Quantenebene und eröffnen eben deshalb technologische Möglichkeiten, die noch vor Kurzem ins Reich der Science-Fiction gehörten.

0 oder 1 – oder alles auf einmal

Eines davon: Im Gegensatz zu herkömmlichen Computern, die auf Bits beruhen und damit nur entweder eine 0 oder eine 1 als Wert akzeptieren, nutzen Quantencomputer sogenannte Quantenbits oder Qubits. Diese können, aufgrund ihrer quantenmechanischen Eigenschaften, sowohl eine 0 als auch eine 1 gleichzeitig darstellen. Physiker sprechen von einer Superposition der Zustände null und eins, bei der die Natur auch alle denkbaren Mischungen der beiden Zustände berücksichtigt. Außerdem vermögen mehrere der Qubits in eine innige Kopplung zu gehen, die Physiker Verschränkung nennen. Diese erschließt ihnen weitere Zustände, die sich mit Begriffen der klassischen Physik nicht einmal beschreiben lassen. Dadurch ergeben sich enorme Möglichkeiten für schnelles Rechnen und komplexe Berechnungen.

Das Beispiel zeigt allerdings auch: Wer auf diesem Gebiet forschen und entwickeln will, muss mehr können, als ein paar der gängigen Programmiersprachen zu beherrschen oder Algorithmen zu verstehen. Es erfordert die Bereitschaft, sich auf die teils der gewohnten Logik zuwiderlaufenden Gesetzte der Quantenmechanik einzulassen. Kenntnisse der Informatik und der Mathematik sind darüber hinaus unverzichtbar. Um einen Quantencomputer zu entwickeln, sind hoch qualifizierte Fachkräfte notwendig. Dazu gehören unter anderem (m/w/d) Physiker, Ingenieure, Computer- und Materialwissenschaftler.

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Schwarz auf Weiß
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Perfekt für maximale Komplexität

Quantencomputing ermöglicht es, komplexe Probleme schneller und effizienter zu lösen als je zuvor. Das hat Auswirkungen auf viele Bereiche wie zum Beispiel die Pharmaindustrie, wo Quantencomputing die Entwicklung neuer Medikamente drastisch beschleunigen könnte. Auch im Finanzwesen kann Quantencomputing dabei helfen, aufwendige Analysen und Prognosen durchzuführen. Und in der Logistikbranche kann es dazu beitragen, unübersichtliche Lieferketten zu optimieren und effizienter zu gestalten. Quantencomputing hat demnach das Potenzial, viele Bereiche von Leben und Wirtschaft zu verändern. Und dieses Potenzial ist gerade erst im Begriff, nach und nach gehoben zu werden.

Schwerpunkt Forschung und Entwicklung

Eine wichtige Gruppe bei der Entwicklung der Quantentechnologie sind Physiker, die sich mit der Theorie und der experimentellen Erforschung von Quantencomputing beschäftigen. Sie arbeiten daran, neue Quantenalgorithmen und -technologien zu entwickeln und zu testen. Außerdem sind sie verantwortlich für den Entwurf und die Konstruktion von Quantencomputern sowie von deren Komponenten wie Qubits, Kabeln und Schaltkreisen.

Universitäten bieten Studiengänge mit verschiedenen Spezialisierungsoptionen im Bereich der Quantenmechanik an. Unternehmen, die auf diesen Gebieten forschen, beschreiben die erforderlichen Qualifikationen oft etwa so: „Exzellent abgeschlossenes Hochschulstudium (Master) im Bereich Experimentalphysik oder vergleichbar, idealerweise mit Spezialisierung auf Quantenoptik oder Atomphysik“. In manchen Fällen erwarten Arbeitgeber eine Promotion (zum Dr. rer. nat.) auf einem der genannten Gebiete.

Ein großes Hindernis bei der Entwicklung war lange Zeit, überhaupt Qubits herzustellen und zu kontrollieren. Bei frühen Versuchen wurden dazu einige Ionen, die keine Elektronen besaßen, in eine Falle geworfen, die aus magnetischen und elektrischen Feldern aufgespannt wurde. Inzwischen gibt es die ersten Halbleiterchips, die nach diesem Prinzip arbeiten. Neben den Physikern sind deshalb auch Ingenieure in die Forschung und Entwicklung von Quantencomputern eingebunden. Sie sind verantwortlich für die Implementierung der Hardware und die Entwicklung von Prototypen. Dabei arbeiten sie eng mit den Physikern zusammen, um sicherzustellen, dass die entwickelten Geräte den Anforderungen der Quantenmechanik entsprechen.

Mit in diesen Reigen gehören auch die Materialwissenschaftler, auf deren Fundament die Physiker und Ingenieure überhaupt erst entsprechende Hardware entwickeln können: Materialwissenschaftler arbeiten an der Entwicklung neuer Materialien, die für den Bau von Quantencomputern geeignet sind. Sie sind Experten für die Eigenschaften von Materialien auf der Quantenebene und suchen nach Materialien, die spezielle Anforderungen erfüllen, um in der Quantenmechanik eingesetzt werden zu können.

Nicht zuletzt braucht es auch Softwareentwickler, um Quantencomputer zu praktisch nutzbaren Werkzeugen zu machen. Zu deren Aufgaben gehört die Entwicklung von Algorithmen und Programmen, die auf Supercomputern ausgeführt werden können und von deren speziellen Fähigkeiten profitieren. Zu ihren Aufgaben gehört es auch, bestehende Algorithmen auf Quantencomputer zu portieren, um ihre Leistungsfähigkeit zu verbessern. Tatsächlich bedarf es spezieller Algorithmen, um das Potenzial von Quantenrechnern zu nutzen: Herkömmliche Algorithmen, die am Ende doch wieder nur auf Nullen und Einsen setzen, ließen die Vorteile ungenutzt, die sich aus der Quantenmechanik ergeben. Das wahrscheinlich bekannteste Beispiel ist der Shor-Algorithmus: 1994 entwickelte der US-Mathematiker Peter Shor diesen Algorithmus, der in der Lage ist, die Primzahlen zu errechnen, durch die sich eine große Zahl ohne Rest teilen lässt. Der Shor-Algorithmus dient Quanteninformatikern bis heute als Studienmaterial und Vorlage für weitere Algorithmen, deren Resultate dann auch praktisch nutzbar werden sollen.

Neue Kryptostandards

Wenn von den Möglichkeiten des Quantencomputing die Rede ist, werden freilich auch Personengruppen hellhörig, die einen praktischen Nutzen weitab von Medizin oder Logistik sehen: So warnt das BSI in einer Schrift zum „Entwicklungsstand Quantencomputer“:

„Es ist allgemein bekannt, dass ein genügend skalierbarer Quantencomputer die gegenwärtig verwendeten asymmetrischen Kryptosysteme basierend auf RSA und elliptischen Kurven brechen würde. Seit der Publikation von Shors Algorithmus (1994) existieren nämlich Polynomialzeit-Quantenalgorithmen zur Faktorisierung von RSA-Moduln und Berechnung des diskreten Logarithmus auf elliptischen Kurven. Weitere Quantenalgorithmen wie die Grover Suche und das Simon Problem haben zudem Implikationen für die symmetrische Kryptografie, insbesondere für Schlüssellängen und Betriebsarten.“

Auf Standarddeutsch: Quantencomputer könnten bisher als sicher geltende Verschlüsselungsalgorithmen überwinden. Die NSA hat deshalb schon 2015 angekündigt, für Systeme der nationalen Sicherheit „zukünftig Quantencomputer-resistente Verfahren“ einzusetzen. Das National Institute of Standards and Technology (NIST) hat 2017 damit begonnen, einen Standardisierungsprozess für Quantencomputer-resistente Verfahren zu entwickeln. Sicherheitsspezialisten müssen sich also entsprechend orientieren.

Wie wichtig sind Kenntnisse der Quantenmechanik für den Berufseinstieg?
Auch wenn sich diese Frage sicher nicht pauschal beantworten lässt, ist bedenkenswert, was Riverlane, ein Unternehmen, das Pionierarbeit auf dem Gebiet der praktischen Nutzung von Quantentechnologie leistet, dazu auf seiner Website dazu sagt:

„Das Ingenieurteam besteht aus Softwareentwicklern, FPGA-Designern, Embedded-Ingenieuren und Produktmanagern. Sie sind Experten in Bereichen wie Hardware-/Software-Integration, Programmiersprachentheorie und Algorithmenentwurf. Die meisten der Mitarbeiter, die diese Positionen bekleiden, hatten vor ihrem Eintritt bei Riverlane keine Erfahrung mit Quantencomputern.“

Sprungbretter für Qubit-Jongleure

Die Ausbildung für Berufe rund um Quantencomputing erfordert in der Regel ein hohes Maß an technischer Expertise und Spezialisierung. Die folgenden Ausbildungswege sind typische Möglichkeiten, um in diesem Bereich Fuß zu fassen:

  • Physikstudium: Ein Bachelor- und/oder Masterstudium der Physik bietet eine solide Grundlage für eine Karriere im Bereich Quantencomputing. Es vermittelt ein Verständnis für die Quantenmechanik und die mathematischen Methoden, die zur Beschreibung der Quantenphänomene verwendet werden.
  • Informatikstudium: Ein Studium der Informatik ist ein weiterer möglicher Ausbildungsweg. Es vermittelt Kenntnisse über Algorithmen und Programmierung, die in der Entwicklung von Quantensoftware und -algorithmen von Nutzen sind.
  • Studium der Materialwissenschaften: Studierende der Materialwissenschaften lernen, wie man Materialien auf der Nanoskala entwirft, synthetisiert und charakterisiert. Dieses Wissen kann in der Entwicklung von Materialien für den Bau von Quantencomputern von Nutzen sein.
  • Ingenieurstudium: Ein Studium im Bereich Ingenieurwissenschaften kann einen Schwerpunkt auf den Entwurf und die Entwicklung von Hardware legen, die für den Bau von Quantencomputern notwendig ist.
  • Promotion in der Quantenphysik: Für Karrieren in der Forschung und Entwicklung von Quantencomputern ist eine Promotion in der Quantenphysik oder Informatik oft eine Voraussetzung.

Die Zukunft spricht Qubit

Die Technologie befindet sich noch in einem frühen Stadium, aber es gibt bereits eine Vielzahl von Anwendungen, die von der erhöhten Rechenleistung profitieren können. Ein Bereich, in dem Quantencomputer eine große Rolle spielen könnten, ist beispielsweise die Entwicklung neuer Medikamente. Die Berechnung von Molekülen und ihrer Wechselwirkungen ist eine der schwierigsten Herausforderungen in der Chemie. Quantencomputer könnten in der Lage sein, diese Probleme effektiv zu lösen. Damit, so die Hoffnung, ließe sich die Entwicklung neuer Medikamente erheblich beschleunigen.

Ein weiterer Bereich, in dem Quantencomputer einen großen Unterschied machen könnten, ist die künstliche Intelligenz. KI-Anwendungen erfordern in der Regel eine enorme Menge an Daten und Rechenleistung. Quantencomputer könnten der Entwicklung von KI-Systemen, die ohnehin gerade einen „Quantensprung“ erlebt, weiteren Schub verleihen.

Quantencomputer könnten auch dazu beitragen, Systeme sicherer zu machen. Eine ihrer Stärken ist die Fähigkeit, komplexe mathematische Probleme schnell zu lösen. Verschlüsselungsmethoden zu brechen ist nur die eine Seite der Medaille. Gleichzeitig könnten Quantencomputer auch neue, sicherere Verschlüsselungsmethoden erst ermöglichen.

Eine der größten Herausforderungen ist die Frage der Skalierbarkeit. Derzeit sind Quantencomputer noch sehr teuer und schwer herzustellen, und sie können nur für sehr spezifische Anwendungen eingesetzt werden. Um Quantencomputer allgemein verwendbar zu machen, müssen jedoch Geräte entwickelt werden, die in der Lage sind, eine breitere Palette von Anwendungen zu bewältigen.

Das ist mir nicht zu hoch

Quantencomputing wird in Zukunft eine wichtige Rolle spielen und eine Menge spannender Berufe hervorbringen. Wer Interesse an Technologie, Physik und Computerwissenschaften hat, sollte sich also auf alle Fälle mit dem Quantencomputing auseinandersetzen.

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Dirk Bongardt hat vor Beginn seiner journalistischen Laufbahn zehn Jahre Erfahrung in verschiedenen Funktionen in Vertriebsabteilungen industrieller und mittelständischer Unternehmen gesammelt. Seit 2000 arbeitet er als freier Autor. Sein thematischer Schwerpunkt liegt auf praxisnahen Informationen rund um Gegenwarts- und Zukunftstechnologien, vorwiegend in den Bereichen Mobile und IT.


Dirk Bongardt, Tel.: 05262-6400216, mail@dirk-bongardt.de, netknowhow.de

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