Regionale Wirtschaftsförderung: Wo Fläche und Fachkräfte den Standort bestimmen

Das Image als chaotische Pannenstadt wird Berlin einfach nicht los. Dabei funktionieren hier manche Dinge erstaunlich gut. Zum Beispiel die Wirtschaft. Das ist nicht zuletzt auf die Attraktivität des Standorts zurückzuführen. Aber auch andere Regionen spielen ihre örtlichen Vorteile gekonnt aus.

Gut erreichbar, gut ausgebildet

Von Mehmet Toprak

Ein flotter Spruch und ein pannengeplagtes Großprojekt haben über Jahrzehnte das Image von Deutschlands Hauptstadt geprägt. Das Großprojekt ist der Berliner Flughafen Willy Brandt. Er hätte eigentlich schon im Juni 2012 fertig sein sollen, aber nach zahllosen Planungsfehlern, Baumängeln und technischen Problemen konnte er erst acht Jahr später, im Herbst 2020, eröffnet werden – ironischerweise genau zu dem Zeitpunkt, als pandemiebedingt gerade kein Flughafen gebraucht wurde. Der flotte Spruch lautet „arm aber sexy“, stammt aus dem Jahr 2003 und war damals dem Bürgermeister Klaus Wowereit eingefallen. So ein Image ist eine hartnäckige Sache. Bis heute gilt Berlin als chaotische Großstadt, die einfach nichts gebacken kriegt.

Besser als sein Ruf: Berlin

Doch so chaotisch ist Berlin nicht mehr. Und längst auch nicht so arm. Nach einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) verzeichnet Berlin in den letzten Jahren eine „rasante wirtschaftliche Entwicklung“. Die Zahlen belegen das: So erwirtschaftete die Stadt nach Angaben des IW allein im Jahr 2020 rund 5 % mehr als der Bundesschnitt. 2021 hatte Berlin immerhin einen Anteil von 4,6 % am deutschen Bruttoinlandsprodukt. Während des Corona-Lockdowns erlebte beispielsweise das Baugewerbe einen echten Boom.

Die Stadt mit den 3,7 Millionen Einwohnern und einer Gesamtfläche von 892 km² hat auch im HWWI/Berenberg-Städteranking mächtig zugelegt. In dem Vergleich, der die Wettbewerbsfähigkeit der 30 größten Städte Deutschlands untersucht, schaffte es Berlin 2019 auf Platz 1 und verdrängt damit den ewigen Konkurrenten München von der Spitzenposition. Auf Platz 2 folgt Leipzig, München bleibt der dritte Platz. Auf den Plätzen 4 und 5 folgen Frankfurt und Köln. Dabei schneidet Berlin vor allem bei Kriterien wie Wachstum bei der Erwerbstätigkeit oder Verbesserung der Produktivität gut ab.

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Das Berliner Business Location Center macht Interessenten den Standort im eigenen Showroom mit 3D-Stadtmodell schmackhaft. (Bild: Berlin Partner für Wirtschaft und Technologie GmbH)

Die positiven Zahlen verwundern nicht, wenn man sich die Vorteile der Hauptstadt vor Augen führt. Da ist zum einen die Lage. Die wichtigsten europäischen Märkte lassen sich von Berlin aus in einer Tagesfahrt per Lkw erreichen. Und nach wie vor gilt Berlin als Drehkreuz und Tor nach Mittel- und Osteuropa. An hoch qualifizierten Fachkräften ist ebenfalls kein Mangel. Berlin besitzt die höchste Forscher- und Akademikerdichte Deutschlands. 200.000 Menschen studieren hier. Die Hauptstadt und das umliegende Brandenburg glänzen mit mehr als 50 Hochschulen und etwa 200 öffentlichen und privaten Forschungseinrichtungen. Darunter sind so renommierte Namen wie die Leibniz-Gemeinschaft, die Fraunhofer-Gesellschaft, die Helmholtz-Gemeinschaft und die Max-Planck-Gesellschaft. Sie alle leisten jeweils mehrere Niederlassungen oder eigene Hauptstadtbüros.

Deutschland Spitzenverbände der Wirtschaft sind selbstverständlich auch präsent. Der Grund für die Beliebtheit Berlins bei Wissenschaft und Wirtschaft ist natürlich die Politik. In der Bundeshauptstadt finden sich nicht nur Regierungssitz und Parlament, sondern auch zahlreiche Bundesministerien und ausländische Botschaften. Da sind die Wege für Wirtschaftsvertreter und Lobbyisten aller Couleur kurz.

Wer noch mehr Lobeshymnen auf die Hauptstadt lesen will, der wird auf den Seiten des Business Location Centers fündig. Das Projekt der Berlin Partner für Wirtschaft und Technologie GmbH kümmert sich um die Wirtschaftsförderung und dient als Service- und Informationsportal für Unternehmen und Investoren, die in und mit Berlin ins Geschäft kommen wollen.

Wirtschaftsstandorte im Web
Die Informations- und Serviceportale der Städte und Metropolregionen sind eine erste Anlaufstelle für Start-ups und Unternehmen, die sich hier ansiedeln wollen oder nach Gewerbeflächen suchen. Auch wer in eine Region ziehen und sich vorab über die Daten und Fakten des jeweiligen Wirtschaftsstandorts informieren will, holt sich hier erste Infos.

Durchstarter Brandenburg

Die gute wirtschaftliche Stimmung macht an den Grenzen der Hauptstadt keineswegs halt. Auch in den Regionen des umliegenden Brandenburg sind Handel und Industrie stark. Die Region Berlin-Brandenburg ist mit 30.000 km² so groß wie Belgien. Hier leben – die Hauptstadt mitgezählt – insgesamt 6 Millionen Menschen, mehr als in Finnland, Dänemark oder Norwegen. Nach Angaben von Brandenburgs Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Energie (MWAE) sind 1200 Industriebetriebe in der Region tätig. Mehr als 100.000 Menschen arbeiten in der Industrie. Allein im Jahr 2018 erwirtschafteten sie einen Jahresumsatz von etwa 27 Milliarden Euro. Brandenburg trägt 2,2 % zum Bruttoinlandsprodukt bei.

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Brandenburg, so wie es Elon Musk sieht: Auf einer Fläche von über 300 ha dehnt sich die hypermoderne Tesla-Gigafactory aus. (Bild: Tesla)

Natürlich spielt ein Name dabei eine besondere Rolle: Tesla. Dass Hightech-Milliardär Elon Musk, der seine Gigafactory in einem beispiellosen Schnellverfahren in Grünheide im Landkreis Oder-Spree aufbaute, gilt als einer der großen Ansiedlungserfolge in der Geschichte Brandenburgs. Bis Ende 2021 entstanden laut Wirtschaftsförderung Brandenburg (WFBB) beim Elektroautohersteller 1900 Arbeitsplätze. Doch Brandenburg lässt sich keineswegs auf Tesla reduzieren. Auch andere Akteure der Automobil- bzw. Mobilitätsbranche sind hier bereits etabliert oder planen laut WFBB eine Niederlassung. Das kanadische Unternehmen Rock Tech Lithium will hier Komponenten für Lithium-Ionen-Akkus produzieren. Das Unternehmen SAS Autosystemtechnik (mittlerweile bei Faurecia und in SAS Interior Modules umbenannt) plant ein Werk für Fahrzeuginnenteile. Nach Angaben des MWAE sind neben der Mobilitätsbranche auch Unternehmen aus der Metallerzeugung und -verarbeitung sowie aus Kunststoffe und Chemie, Ernährungswirtschaft, Optik und Photonik gut vertreten.

Sebastian Saule, Geschäftsführer der WFBB, sagt: „Der Brandenburger Mittelstand hat sich trotz Corona weiter intensiv mit Innovationen und mit internationalen Märkten beschäftigt. Wir haben 2021 mit 340 Innovations– und Digitalisierungsprojekten und 39 technologieorientierten Gründungen einen richtig guten Lauf gehabt.“

Laut Saule spielen dabei Projekte rund um das Thema Nachhaltigkeit eine wichtige Rolle. „Kommunen mit konsequentem Energiemonitoring sparen erfahrungsgemäß durchschnittlich 20 % an Wärmeenergie und Strom“, erklärt der WFBB-Chef. Ohnehin spielt das Thema Energie hier eine prominente Rolle. Deutschlandweit zählt die Region bei der Erzeugung von Wind- und Solarstrom zu den Spitzenreitern. Allerdings bedeutet dies nicht unbedingt, dass Brandenburg ein besonders grünes Bundesland ist. Denn hier ist auch das Lausitzer Braunkohlerevier. In Zeiten, in denen nachhaltige Energiequellen den Gesamtenergiebedarf bei Weitem noch nicht decken können und die Einfuhr von Kohle, Öl und Gas aus Russland gestoppt werden soll, ist man zumindest für die nächsten Monate und Jahre wieder stärker auf heimische Kohleverbrennung angewiesen.

Serie: Wirtschaftsförderung
Teil 1 beginnt in der Nordhälte Deutschlands und fährt von Berlin durch Brandenburg bis Sachsen und hinauf an die Küste. Teil 2 nimmt sich die Südhälfte vor und macht ein paar überraschende Entdeckungen. Ein Extrabeitrag widmet sich außerdem der Standortpolitik in Österreich.

Neben Berlin und Brandenburg gibt es auch eine Reihe weiterer Städte und Regionen, die ihre Standortvorteile zu nutzen wissen.

Starkes Sachsen

Die einwohnerreichste Stadt Sachsens liegt auf 51° 20′ 26,0“ nördlicher Breite und 12° 22′ 28,9“ östlicher Länge. Diese Lage macht Leipzig zur wichtigen Drehscheibe in Bezug auf die Märkte Osteuropas. Zugleich dauert die Zugfahrt nach Berlin nur eine gute Stunde, in drei Stunden sind Reisende in Hamburg oder Frankfurt am Main.

Die 1,7 Millionen Einwohner der Region Leipzig/Halle leben in einer Stadt, die auf der Website „eine Aufbruchsmentalität“ proklamiert. So haben Unternehmen wie Check24, Verivox oder trivago ihr Hauptgeschäft nach Leipzig verlegt oder dort Niederlassungen eröffnet. Ein Unternehmensgründerbüro kümmert sich um Finanzierung und Beratung für Start-ups, von denen es derzeit 200 in der Stadt gibt. Besonders stolz ist Leipzig auf sein „schnelles Verwalten“ im Bereich der Baugenehmigungen. So hat es angeblich nur vier Wochen gedauert, bis der Autohersteller Porsche eine Baugenehmigung erhielt, bei der Siemens AG waren es sechs Wochen.

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Universitäten und Forschungseinrichtungen wie die TU Dresden mit ihrem Exzellenzcluster CeTI, das an der Echtzeitinteraktion von Mensch und Maschine forscht, werden mit Blick auf gut ausgebildete Fachkräfte immer mehr zum entscheidenden Standortfaktor. (Bild: Dresden Marketing GmbH – Sebastian Weingart (Lizenz: DML-BY))

Die Hauptstadt Sachsens will in Sachen Gründerfreundlichkeit und Hightech nicht zurückstehen. In Dresden tummeln sich nach Angaben der Stadt z.B. 360 Akteure im Bereich Greentech, darunter 70 Forschungseinrichtungen und mehr als 270 Unternehmen. Unter dem Motto „Smart City“ soll eine „Zukunftsvision für nachhaltiges Leben in einer innovativen Stadt“ entstehen. Im Mittelpunkt stehen dabei zukunftsträchtige Themen wie Mobilität, Digitalisierung, Klimaschutz oder Energieeffizienz.

Serie: Innovations- und Gründerzentren
Der Einführungsbeitrag gibt eine erste Übersicht für Gründer und Start-ups. Dabei interessiert auch die Frage, wie sich die Locations auf den eigenen Erfolg und die Karriere auswirken. Teil 1 stellt dann konkrete Beispiele aus Berlin, Hamburg und anderen Orten im deutschen Norden und Osten vor. Teil 2 reist nach Köln, Dortmund, Mainz und Gummersbach, um die Technologiezentren an Rhein und Ruhr zu sichten. Überraschungen hat auch der Südwesten parat, von dem Teil 3 berichtet – aus Darmstadt und Stuttgart ebenso wie aus dem beschaulich-umtriebigen Bad Orb. Teil 4 geht schließlich in den Postleitzahlenbereich 8 und 9 nach Bayern und Thüringen: Auch außerhalb von München bekommen Gründer gute Unterstützung. Sonderbeiträge geben außerdem Auskunft über die Innovations- und Gründerzentren in Österreich und die dortige Start-up-Szene.

Hamburg und der Norden

Zur Metropolregion Hamburg gehören auch Städte wie Cuxhaven, Lüneburg oder Lübeck. Die Lage macht die Region mit ihren fast 5,4 Millionen Einwohnern zum Schnittpunkt europäischer Verkehrsachsen zwischen Skandinavien, West-, Ost- und Südeuropa.

Dementsprechend ist auch die Wirtschaft stark. 2019 lag das BIP der Metropolregion bei 234,4 Milliarden Euro. Davon profitieren auch Städte mit eher gemütlichem Auftritt wie das 183.000 Einwohner zählende Lüneburg. Hier sind zahlreiche Firmen aus Branchen wie Mechatronik, Ernährung sowie Informations- und Kommunikationstechnik aktiv. Ein Highlight der Hansestadt ist die weithin bekannte Universität Leuphana, die als Modelluniversität für den Bologna-Prozess dienen sollte.

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Schwarz auf Weiß
Dieser Beitrag ist zuerst in unserer Magazin­reihe „IT-Unternehmen aus der Region stellen sich vor“ erschienen. Einen Über­blick mit freien Down­load-Links zu sämt­lichen bereits verfügbaren Einzel­heften bekommen Sie online im Presse­zentrum des MittelstandsWiki.

Auch die andere Hansestadt, Lübeck, hat mehr zu bieten als nur das Buddenbrook-Haus der Schriftstellerfamilie Mann. Die Nähe zur Ostsee macht sie zum Dreh- und Angelpunkt für den Güterverkehr.

Der Wirtschaftsraum Hannover ist für ein Fünftel der Wirtschaftskraft Niedersachsens zuständig. Die Landeshauptstadt zählt mehr als eine halbe Million Einwohner. Pro Einwohner liegt das Bruttoinlandsprodukt bei 45.583 Euro, das ist mehr als der Landes- und Bundeswert. Nach Volkswagen gehören der Automobilzulieferer Continental und die Drogeriekette Rossmann zu den umsatzstärksten Unternehmen der Region.

Infrastruktur in NRW

Im City Ranking Quality of Living des internationalen Beratungsunternehmens Mercers, liegt Düsseldorf weit vorne auf Platz 6. Die hohe Lebensqualität gefällt offenbar auch der Wirtschaft, 38.000 Unternehmen tummeln sich im Raum Düsseldorf. Charakteristisch für Düsseldorf ist auch die internationale Ausrichtung. Bei Direktinvestitionen aus dem Ausland liegt Düsseldorf in Europa hinter London auf Platz zwei. Außerdem findet sich hier die größte japanische Business-Community der EU.

Im Jahr 19 v. Chr. von den Römern gegründet, ist Nordrhein-Westfalens einzige Millionenstadt heute eine wohlhabende Hightech-Region. Köln bietet unter anderem drei internationale Verkehrs- und Frachtflughäfen, einen Großflughafen ohne Nachtflugverbot für Cargo-Maschinen und ein leistungsfähiges Güterverkehrszentrum.

Auch 21 Hochschulen und 2500 Unternehmen der Digitalbranche tragen zum guten Ruf als Hightech-Metropole bei. So liegt der Glasfaserausbau nach Angaben der Stadt bei über 80 %, das sei die höchste Quote in Deutschland.

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