Wasserstoff: Wer zuerst mit Wasserstoff vorankommt

Der Verkehr der Zukunft – das ist doch Elektromobilität, oder? Nicht unbedingt. Wo sich lange Zeit ziemlich wenig getan hat, herrscht plötzlich Aufbruchsstimmung. Im Zeichen des Klimawandels interessiert sich die Politik nun vermehrt für Wasserstoff als Energieträger. Und die Autobauer ebenso.

Wasserstoff marsch!

Von Friedrich List

Nach einer Umfrage der Unternehmensberatung PricewaterhouseCoopers (PwC) von März 2020 setzen deutsche Automanager nicht nur auf Batteriefahrzeuge, sondern auch auf die Brennstoffzelle mit Wasserstoff. Denn Unternehmen wie BMW und die Daimler AG sind schon seit Jahren führend bei Wasserstofftechnologien. Sie versuchen also gar nicht erst, den Vorsprung von Tesla bei den Batterieautos aufzuholen, sondern bringen ihre eigene Expertise ins Spiel.

Hier spielt auch die Einsicht eine Rolle, dass Deutschland auf absehbare Zeit nicht genug Strom aus nachhaltigen Energiequellen produzieren kann, um die wachsende Flotte von Batteriestromern zu versorgen. Also fördert die Politik den Wasserstoff gewissermaßen als das Öl von morgen. „Meine Idee ist, dass wir bis 2050 unseren Energiebedarf zu über 50 % aus importiertem, nachhaltig erzeugtem Wasserstoff decken werden. Rund 25 % können wir nach Expertenberechnungen aus heimischen Wind- und Solaranlagen gewinnen“, sagte Bundesforschungsministerin Anja Karliczek gegenüber der Süddeutschen Zeitung.

Brennstoffzellenstrategie bei BMW

Wasserstoff als zukünftiger Energieträger spielt seit Jahren bei BMW eine wichtige Rolle. Der Hersteller entwickelt hybride Systeme, bei denen Wasserstoff eine Brennstoffzelle betreibt, die wiederum Strom für Elektromotoren und möglicherweise auch Akkus liefert. Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten hat BMW in seinem Münchener Wasserstoff-Kompetenzzentrum gebündelt. Hier entsteht jetzt die zweite Generation von Brennstoffzellenantrieben aus dem Hause BMW.

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Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (Mitte) besuchte im Juli 2020 das Wasserstoff-Kompetenzzentrum der BMW Group; Jürgen Guldner (rechts) ist dort Leiter der Bereichs Wasserstofftechnologie und Fahrzeugprojekte. (Bild: BMW AG)

Die Wasserstoffbrennstoffzelle hat den Vorteil, dass sie als Abfallprodukt lediglich Wasserdampf ausstößt. In der Zelle selbst reagieren Wasserstoff und Sauerstoff miteinander und liefern so elektrischen Strom für den Motor. Im Rahmen des Power-of-Choice-Prinzips sollen manche Fahrzeugklassen auch mit der Option auf eine Brennstoffzelle erscheinen. Diese Variante würde die bisherigen Wahlmöglichkeiten zwischen Benziner, Diesel, Plug-in-Hybrid und E-Antrieb per Batterie erweitern. Als erstes derartiges Fahrzeug soll ab 2022 der BMW i Hydrogen Next in einer Kleinserie auf den Markt kommen. Das SUV baut auf dem BMW X5 G05 auf; die Brennstoffzelle wird eine Leistung von 170 PS abgeben. Mit dieser Leistung kann dann ein Lithium-Ionen-Akku aufgeladen werden. Angetrieben wird der Öko-SUV dann von Elektromotoren, die insgesamt 374 PS leisten. In die beiden Tanks passen 6 kg Wasserstoff, das Nachtanken soll nur wenige Minuten dauern. Dagegen dauert der Vorgang bei einem vergleichbaren Batterieauto rund eine halbe Stunde. BMW möchte beobachten, wie sich die Nachfrage im Premiumsegment entwickelt. Sollten sich die positiven Erwartungen erfüllen, will die BMW Group in der zweiten Hälfte dieses Jahrzehnts auch ein Großserienfahrzeug produzieren.

Langfristig verfolgt BMW-Chef Oliver Zipse ehrgeizige Ziele. Bis 2030 sollen weltweit sieben Millionen Elektroautos und Plug-in-Hybride aus BMW-Produktion auf den Straßen rollen. Davon sollen zwei Drittel reine Elektroautos sein. Das heißt dann auch, dass das Unternehmen seine Produktpalette zügig umstellen will. Bereits bis 2023 soll das Angebot an ökofreundlichen Autos 25 verschiedene Modelle umfassen. Baureihen wie die 5er, 7er, X1 und X3 sollen dann die elektrisch erweiterte Power-of-Choice-Palette bieten. Mit dem rein elektrischen BMW i4 erhalten dann auch die 3er und 4er diese Wahlmöglichkeit.

Bei der Fertigung der Brennstoffzellen für den X5 geht der Konzern ebenfalls neue Wege: Er greift auf eine automatisierte Forschungsanlage zurück, die unter dem Dach des vom Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) geförderten Programms AutoStack Industrie entstand. Das Gesamtsystem gilt als BMW-Eigenentwicklung, während das Innenleben vom Kooperationspartner Toyota stammt.

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Daimler konzentriert sich auf Nutzfahrzeuge. Am 16. September 2020 hat das Unternehmen den Mercedes-Benz GenH2 Truck vorgestellt. Erste Tests mit Kunden sind für 2023 geplant, die Serienproduktion soll in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts starten. (Bild: Daimler Truck)

Daimler: Fokus auf Nutzfahrzeuge

Daimler hat jüngst überraschend die Produktion seines Brennstoffzellen-Pkw GLC F-Cell eingestellt. Der Autobauer hatte dieses Fahrzeug Ende 2018 auf den Markt gebracht und damit auf vergleichbare Angebote von Toyota und Hyundai reagiert. Als Begründung erklärte das Unternehmen: „Aktuell ist die Batterie der Brennstoffzelle bezüglich einer großvolumigen Markteinführung überlegen – nicht zuletzt angesichts der weltweit noch geringen Anzahl an Wasserstofftankstellen und der verhältnismäßig hohen Technologiekosten. Auch in Sachen Energiedichte hat die Batterietechnologie große Sprünge gemacht und damit den Reichweitenvorteil der Brennstoffzellentechnologie im Pkw verringert.“ Allerdings gilt das gegenwärtig nur für Pkw. Nutzfahrzeuge mit reinem Batterieantrieb bräuchten immer noch relativ große und dementsprechend schwere Akkus. Nutzt man als Stromquelle dagegen Brennstoffzellen, sieht die Gleichung anders aus.

Deswegen gibt Daimler die Brennstoffzellentechnologie nicht auf. Die Entwickler arbeiten schwerpunktmäßig an Nutzfahrzeugen (Lkw und Bussen), die ihre Energie aus Brennstoffzellen beziehen. Dazu hat die Firma ein Joint Venture mit Volvo gegründet. Die bisherige Brennstoffzellenabteilung von Daimler geht in dieser neuen Firma auf. Für den Bereich der Nutzfahrzeuge erwarten die Verantwortlichen bessere Markchancen. „Transport und Logistik halten die Welt am Laufen, gleichzeitig wächst der Transportbedarf weiter“, so Daimler-Truck-Chef Martin Daum gegenüber Pressevertretern. „Ein wirklich CO₂-neutraler Transport wird nur durch einen elektrischen Antriebsstrang erreicht werden, wobei die Energie aus zwei Quellen kommen kann: entweder aus Batterien oder durch die Umwandlung von Wasserstoff in Elektrizität an Bord des Fahrzeugs. Für den Lkw-Einsatz im schweren Fernverkehr sind Brennstoffzellen eine entscheidende Lösung.“

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Schwarz auf Weiß
Dieser Beitrag ist zuerst in unserer Magazin­reihe „IT-Unternehmen aus der Region stellen sich vor“ erschienen. Einen Über­blick mit freien Down­load-Links zu sämt­lichen bereits verfügbaren Einzel­heften bekommen Sie online im Presse­zentrum des MittelstandsWiki.

Daimler folgt hier Vorreitern wie dem US-Hersteller Kenworth oder Toyota, die beide bereits mit Brennstoffzellen-Lkw am Markt vertreten sind. Volvo und Daimler wollen zusammen Brennstoffzellensysteme für schwere Nutzfahrzeuge entwickeln, serienreif machen und dann gemeinsam vermarkten. Neben den schweren Nutzfahrzeugen denken die Verantwortlichen auch an andere Anwendungen, etwa stationäre Systeme. Standort soll der Hauptsitz der Mercedes-Benz Fuel Cell GmbH in Kirchheim-Nabern sein. Außerdem sollen weitere Produktionsstätten an deutschen Standorten und in Kanada aufgebaut werden. Volvo steuert Kapital bei und erhält zum Preis von 600 Millionen Euro 50 % des gemeinsamen Unternehmens. Darüber hinaus will die Daimler Truck AG zusammen mit der britischen Rolls-Royce plc stationäre Brennstoffzellengeneratoren entwickeln, die dann zum Beispiel als CO₂-neutrale Notstromversorgung von Einrichtungen wie Rechenzentren dienen könnten.

Ab 2022 möchte Daimler die ersten Busse mit Brennstoffzelle verkaufen. Die soll dann im Mercedes-Benz eCitaro der Reichweitenverlängerung dienen. Bereits ab 2021 soll der Bus mit einer Feststoffbatterie angeboten werden. Zu den Kunden für den eCitaro gehört auch die Hamburger Hochbahn AG, die Deutschlands ersten produzierten E-Bus seit zwei Jahren verwendet. Im August unterzeichneten der Fahrzeugbauer und die Hochbahn einen Rahmenvertrag über die Lieferung von weiteren elektrischen Stadtbussen. Die Hochbahn nutzt bereits eCitaro-Busse und möchte nun zwischen 2021 und 2025 bis zu 530 Fahrzeuge abnehmen. Zu einem weiteren Großkunden soll Amazon avancieren. Der Versandhändler wird von der Mercedes-Benz AG in den nächsten Jahren 1800 elektrische Lieferfahrzeuge beziehen, um bis 2040 klimaneutral zu sein.

Bei den Pkw folgt Daimler dem Beispiel VW und treibt die Entwicklung der EQ-Reihe weiter voran, die entweder als Batterie- oder als Plug-in-Hybrid bereitsteht. Auch die Arbeit am Mercedes-Benz AMG Project One geht weiter. Der Sportwagen soll einen leistungsstarken Hybridantrieb erhalten und mit 1000 PS rund 350 km/h erreichen. Der Hybridantrieb besteht aus einem 1,6-Liter-V8-Ottomotor und vier Elektromotoren, wobei der Ottomotor aus dem Rennsport stammt.

Serie: Mobilität 4.0
Der Einführungsbeitrag beginnt in Berlin – die Bundeshauptstadt ist experimentierfreudiger Vorreiter neuer Mobilitätskonzepte. Gute Beispiele meldet der Report auch aus Hamburg und Dresden. Teil 2 begibt sich dann in den Westen nach Nordrhein-Westfalen; dort hat das Zukunftsnetz Mobilität NRW viele Projektfäden in der Hand. Eine wichtige Rolle spielt hier der öffentliche Personennahverkehr, denn immer mehr Verkehrsbetriebe lassen ihre Busse mit Biogas fahren. Teil 3 geht zu den Ursprüngen der Automobilindustrie und sieht sich an, wie sich Baden-Württemberg und insbesondere Stuttgart die Zukunft der Mobilität vorstellen. Teil 4 berichtet aus dem benachbarten Flächenland Bayern, Teil 5 fährt über die Grenze nach Österreich. Außerdem gibt es bereits einen Report zu mobilen Stauwarnanlagen und intelligentem Verkehrsmanagement sowie zu autonomen Schiffen, Wasserstoffprojekten, Business-Bikes, Stadtseilbahnen sowie Lufttaxis und Urban Air Mobility.

Akzeptanz und Tankestellen

Mittlerweile stößt die automobile Energiewende auch bei Verbrauchern auf Wohlwollen. In einer vom Online-Automarkt AutoScout24 und dem Marktforschungsinstitut Innofact im Juli 2020 durchgeführten Umfrage konnte sich ein gutes Drittel der Befragten vorstellen, ein Wasserstofffahrzeug zu kaufen. Insgesamt waren tausend Autohalter zwischen 18 und 65 Jahren befragt worden.

63 % sahen es zudem als positiv, dass Deutschland und die EU verstärkt in Wasserstofftechnologien investieren. 45 % glauben, dass diese Technologie ein Element eines CO₂-neutralen Verkehrssystems sein könne. 35 % unterstützen generell die Investitionen in alternative Antriebstechniken. Und 15 % vermuten, dass in Zukunft fast alle Straßenfahrzeuge mit Wasserstoffantrieb unterwegs sein werden. Allerdings erkennt die Studie auch Skeptiker. Jeder zehnte Autohalter ist gegen die Ausgaben für Wasserstoff, weil ihm die Technik zu teuer erscheint. Fast genauso viele, 9 %, meinen, dieser Bereich müsse besser erforscht werden, bevor man Geld in großem Stil ausgibt.

Der größeren Akzeptanz und dem wachsenden Angebot steht immer noch ein Mangel an Infrastruktur gegenüber. Bundesweit sind nicht nur Ladestationen für Batterieautos knapp, sondern auch Wasserstofftankstellen. Von denen existieren aktuell laut der Website h2.live des Anbieters H2 Mobility gerade mal 86 Stück, geplant sind weitere elf. Acht befinden sich gerade im Probebetrieb oder im Prozess der Inbetriebnahme. H2 Mobility eröffnet im Schnitt alle zwei Wochen eine neue Tankstation und will bis Ende des Jahres bundesweit hundert öffentliche Stationen in Betrieb haben.

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Der Netzausbau auf h2.live: Noch für 2020 sind 100 öffentliche Wasserstoffstationen für Pkw anvisiert. (Bild: H2 Mobility Deutschland)

Zudem wird der Löwenanteil des zurzeit genutzten Wasserstoffs nicht umweltverträglich hergestellt. Momentan kommt er aus zwei Quellen: Entweder wird er über Dampfreformierung aus Erdgas erzeugt – oder er entsteht als Abfallprodukt bei industriellen Verarbeitungsprozessen. Bevor er in eine Brennstoffzelle gefüllt werden kann, erfolgt eine aufwendige Reinigung. Ideal wäre hochreiner, elektrolytisch aus Wasser entstandener Wasserstoff, für dessen Herstellung Ökostrom genutzt wird. Umgekehrt wäre dieser grüne Wasserstoff auch ideal, um Energie aus Wind- und Solarkraft zu speichern. Dafür müsste jedoch der Anteil erneuerbarer Energien an der Stromversorgung steigen.

Anschub und Aufbaustrategien

Damit das passieren kann, hat die Bundesregierung am 10. Juni 2020 eine Nationale Wasserstoffstrategie beschlossen. Schädliche Treibhausgasemissionen sollen drastisch gesenkt, gleichzeitig soll Deutschland bei den Technologien rund um den neuen Energieträger zum global führenden Anbieter avancieren. Bis 2040 soll hierzulande mindestens 10 GW Elektrolyseleistung zur Verfügung stehen.

Im Südwesten zieht die Politik nach. Seit April 2020 arbeitet eine ressortübergreifende Projektgruppe unter Federführung des Umweltministeriums an einer Wasserstoffroadmap für Baden-Württemberg. Sie soll im Rahmen eines Dialogprozesses zwischen den verschiedenen Akteuren entstehen und zum Jahresende fertig sein. Im Musterländle gibt es bereits wichtige Projekte, so die experimentelle Fabrik für Brennstoffzellen HyFab oder das Ulmer Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoffforschung.

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Friedrich List ist Journalist und Buch­autor in Hamburg. Seit Anfang des Jahr­hunderts schreibt er über Themen aus Computer­welt und IT, aber auch aus Forschung, Fliegerei und Raum­fahrt, u.a. für Heise-Print- und Online-Publikationen. Für ihn ist SEO genauso interessant wie Alexander Gersts nächster Flug zur Inter­nationalen Raum­station. Außerdem erzählt er auch gerne Geschichten aus seiner Heimatstadt.

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