Streit um Streikaufrufe per Firmen-E-Mails

Ein neuer Skandal erschüttert seit dem Wochenende die Bahn: Firmen-E-Mails mit Streikaufrufen der Bahngewerkschaft GLD sollen gezielt abgefangen und gelöscht worden sein. Da mittlerweile praktisch jeder Betrieb seinen Mitarbeitern eine firmeneigene E-Mail-Adresse zur Verfügung stellt und Massenmails für den Versender so gut wie keine Kosten verursachen, ist die Versuchung für Gewerkschaften aller Art groß, auf diese Weise Streiks zu organisieren. Aber ist das auch erlaubt? Was darf ein Unternehmen dagegen tun?

Diese beiden Fragen sind derzeit leider nicht verbindlich zu beantworten. Einerseits besagt ein Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 23. 04. 1997 (18 Sa 164/97) zum § 2 BetrVG (Betriebsverfassungsgesetz), dass es sich bei einem Streikaufruf um eine Kampfhandlung im Arbeitskampf handelt. In diesem Fall könne der Zutritt eines externen Gewerkschaftsbeauftragten zum Zweck des Streikaufrufs im Betrieb – wenn überhaupt – nur in Ausnahmefällen verlangt werden.

Auf dieses Urteil beziehen sich dann auch Hinweise des Bundeswirtschaftsministeriums an Unternehmen im Falle eines Arbeitskampfs (Arbeitskampfrichtlinie des Bundes, kostenloser Download):

Der Zutritt eines externen Gewerkschaftsbeauftragten zum Zwecke des Streikaufrufs im Betrieb ist nur ausnahmsweise zu gestatten (LAG Hamm vom 23. April 1997 – 18 Sa 164/97 = LAGE Nr. 66 zu Art. 9 Arbeitskampf). Die eigenmächtige Benutzung von Räumlichkeiten und Gegenständen (z. B. Fahrzeuge und Geräte) der Arbeitgeberin/des Arbeitgebers im Zusammenhang mit Arbeitskampfmaßnahmen ist rechtswidrig und daher unzulässig.“

Ein Urteil des Ersten Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 20. Januar 2009 (1 AZR 515/08) weist allerdings in eine gänzlich andere Richtung:

„Eine tarifzuständige Gewerkschaft darf sich an Arbeitnehmer über deren betriebliche E-Mail-Adressen mit Werbung und Informationen wenden. Dies gilt auch, wenn der Arbeitgeber den Gebrauch der E-Mail-Adressen zu privaten Zwecken untersagt hat. Die Entscheidung einer Gewerkschaft, Arbeitnehmer auf diesem Weg anzusprechen, ist Teil ihrer durch Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG geschützten Betätigungsfreiheit. Soweit dabei Grundrechte des Arbeitgebers berührt werden, sind die kollidierenden Rechtspositionen gegeneinander abzuwägen. Das durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Eigentumsrecht des Arbeitgebers und sein von Art. 2 Abs. 1 GG erfassten Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb haben gegenüber der gewerkschaftlichen Betätigungsfreiheit zurückzutreten, solange der E-Mail-Versand nicht zu nennenswerten Betriebsablaufstörungen oder spürbaren, der Gewerkschaft zuzurechnenden wirtschaftlichen Belastungen führt. Auf Persönlichkeitsrechte der Arbeitnehmer kann sich der Arbeitgeber im Rahmen eines deliktischen Unterlassungsanspruchs gegenüber der Gewerkschaft nicht berufen.“

(laut Pressemitteilung Nr. 8/09 des Bundesarbeitsgerichts)

Der Erste Senat des Bundesarbeitsgerichts wies deshalb die Klage eines Dienstleistungsunternehmens auf dem Gebiet der Informationstechnologie ab, mit der dieses der Gewerkschaft ver.di die Versendung von E-Mails an die betrieblichen E-Mail-Adressen seiner Mitarbeiter untersagen lassen wollte. Die Klägerin, das IT-Unternehmen, hatte keine Störung des Betriebsablaufs oder messbare wirtschaftliche Nachteile geltend gemacht.

Es gibt in diesem Urteil allerdings drei wichtige Einschränkungen: Erstens handelt es sich bei der vom Gericht zu beurteilenden gewerkschaftlichen E-Mail um eine Werbemail, nicht um einen Streikaufruf. Zweitens gilt die Erlaubnis (im Umkehrschluss des Urteilstextes) nur, solange es zu keinen „nennenswerten Betriebsablaufstörungen oder spürbaren, der Gewerkschaft zuzurechnenden wirtschaftlichen Belastungen“ kommt, was aber im Streikfall immer zutrifft, da darin ja gerade der Zweck eines Streiks besteht. Und drittens muss es sich um eine „tarifzuständige Gewerkschaft“ handeln.

Letzteres zu prüfen, ist also in jedem Fall den Unternehmen anzuraten, da es nicht selten kleine gewerkschaftsähnliche Gruppierungen sind, die auf diesem kostengünstigen Weg Mitglieder suchen oder zu Aktionen aufrufen.

Weitgehend einig sind sich Rechtsexperten, dass es unzulässig ist, derartige Aufrufe zu unterbinden, wenn den Mitarbeitern ausdrücklich erlaubt ist, die Firmen-E-Mails zur privaten Nutzung zu verwenden. Dann greift das Fernmeldegeheimnis und allein schon die inhaltliche Prüfung ist nicht mehr erlaubt. Unternehmen sollten also als Vorbeugemaßnahme zumindest die private Nutzung ausschließen – so unpopulär und für die Arbeitnehmer nachteilig eine solche Regelung sein mag. Kluge Unternehmen sollten deshalb ihren Mitarbeitern bei dieser Gelegenheit erklären, warum die private Nutzung untersagt wird.

In einem weiteren Punkt herrscht unter Juristen weitgehende Einigkeit: Auch wenn ein noch ausstehendes Urteil eine Nutzung der Firmen-E-Mail im Falle eines Streikaufrufs untersagen sollte, darf eine Löschung oder Blockade durch das Unternehmen nicht ohne Benachrichtigung der Empfänger und Versender erfolgen, wie es – nach derzeitiger Nachrichtenlage – bei der Bahn wahrscheinlich geschah.

(ml)

Kommentar der Redaktion: Unter dem Strich ist die derzeitige unklare Rechtslage gerade für mittelständische Betriebe mit ihren meist familiären Vertrauensbeziehungen zu den Mitarbeitern sehr unbefriedigend. Immerhin bleibt die Hoffnung, dass diese Grundsatzfrage im Rahmen der Bahnaffäre durch ein möglichst höchstrichterliches Urteil eindeutig geklärt wird. (ml)