Einkommensentwicklung: Mitte der Gesellschaft bricht weg

Die Bevölkerungsgruppen der Geringverdienenden und Gutverdie­nenden – landläufig verkürzt als Arm und Reich bezeichnet – driften in Deutschland immer weiter auseinander, während in der Mitte eine Lücke entsteht. Das behaupten nicht nur Gewerkschaften und politisch Linke, das ist auch ein zentrales Ergebnis einer neuen Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin zur Einkommensverteilung in Deutschland. Die auf Daten des Sozio-Oekonomischen Panels (SOEP) basierende Studie zeigt: Nur 60 % der Menschen in Deutschland gehören noch zur Mittelschicht, mit Nettoeinkommen zwischen 860 und 1844 Euro. 2000 waren es noch mehr als 66 %.

Für die DIW-Experten Martin Gornig und Jan Goebel ist das eine besorgniserregende Entwicklung: „Dieser Trend verunsichert die Mittelschicht“, sagen sie. „Eine starke Mittelschicht ist aber wichtig für den Erhalt der gesellschaftlichen Stabilität.“

Stark gestiegen ist vor allem die Zahl der Menschen mit niedrigem Einkommen, von 18 % im Jahr 2000 auf fast 22 % in 2009. Zudem steigt die Zahl der Menschen mit Niedrigeinkommen nicht nur immer mehr an – diese Gruppe verdient auch in absoluten Zahlen immer weniger: Verdiente ein Singlehaushalt der unteren Einkommensgruppe 2000 im Schnitt noch 680 Euro, waren es 2008 nur noch 645 Euro. Gleichzeitig ist auch der mittlere Verdienst höherer Einkommensgruppen gestiegen, von 2400 auf 2700 Euro.

Hauptursache für die zunehmende Entfernung der Einkommensgruppen voneinander sei vor allem die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt: Wenn die Zahl der Beschäftigten zurückgeht, steigt die Zahl der Menschen in unteren Einkommensgruppen. „Wir sehen hier einen langfristigen, relativ gleichmäßigen Trend“, erklärt Jan Goebel. „Und dieser Trend ist besorgniserregend.“ Er könnte dazu führen, dass Feindseligkeiten und Schuldzuweisungen an andere Bevölkerungsgruppen entstehen. Aber auch in anderen Bereichen drohen mit dem Verschwinden der Mittelschicht Probleme, etwa bei der Stadtentwicklung: „Mit einer steigenden Anzahl von Ärmeren wächst auch die Gefahr des Entstehens von Armenvierteln.“

Das geplante Sparpaket der Bundesregierung hält Jan Goebel vor dem Hintergrund der beobachteten Entwicklung für zu einseitig: „Die bisher gemachten konkreten Vorschläge betreffen nur die unteren Einkommen.“ Der Anteil der Gutverdienenden aber steige stetig und verdiene zudem auch immer besser. Da stelle sich schon die Frage, ob diese Gruppe nicht auch einen Sparbeitrag leisten sollte, so Goebel.

Eine ausführliche Darstellung der Ergebnisse der Studie bietet die Ausgabe 24/2010 des DIW Wochenberichts mit dem Titel Polarisierung der Einkommen: Die Mittelschicht verliert. Der Wochenbericht steht als kostenloser Download online zur Verfügung.

(DIW / ml)