Umweltausschuss: Expertenzoff um KKW-Laufzeitverlängerung

Von einer kontroversen Debatte zwischen den Sachverständigen geprägt war am Mittwochvormittag der Auftakt einer öffentlichen Anhörung des Umweltausschusses des Deutschen Bundestags zur umstrittenen Laufzeitverlängerung von Kernkraftwerken. Die Befürworter einer Verlängerung argumentierten, die weitere Nutzung des Nuklearstroms fördere den Ausbau der erneuerbaren Energien und reduziere den Kohlendioxidausstoß. Die Ausstiegsverteidiger verharrten auf dem Standpunkt, nur bei einer Abkehr von der Kernkraft lasse sich die Wettbewerbsposition der regenerativen Energien stärken. Dem Hearing lag ein Antrag der Grünen auf einen beschleunigten Ausstieg zugrunde.

RWE-Vorstand Rolf Martin Schmitz erklärte, der vor allem von den Konzernen vorangetriebene Ausbau der erneuerbaren Energien sei sehr kostenintensiv. Dieses Geld stamme in hohem Maße aus Einnahmen, die mit dem Betrieb von Kernkraftwerken erzielt würden. Jede Abschaltung schwäche diese Finanzkraft. Zudem sorge die nukleare Grundlastelektrizität für Stabilität im Stromnetz, weil mit diesen Kapazitäten die Schwankungen der Energie aus regenerativen Quellen ausgeglichen werden könnten.

Sowohl Professor Alfred Voß von der Universität Stuttgart als auch Schmitz hoben zudem hervor, dass eine Laufzeitverlängerung bei den Atommeilern zur Reduzierung des Kohlendioxidausstoßes beitrage. Außerdem, so Voß, verringere sich auch der Import von Strom aus fossilen Trägern.

Aus Sicht von Schmitz, Voß und Professor Justus Haucap (Uni Düsseldorf) profitieren die Verbraucher bei den Elektrizitätspreisen erheblich von einer längeren Nutzung der Nuklearenergie. Voß rechnete den Abgeordneten vor, dass die Konsumenten je nach Ausgestaltung einer Laufzeitverlängerung in einer Größenordnung von 50 bis 140 Milliarden Euro entlastet würden. Die zusätzlichen Gewinne der Konzerne würden sich, so der Wissenschaftler, auf 40 bis 160 Milliarden Euro summieren, doch sollte dieses Geld ja zum Großteil vom Staat abgeschöpft werden.

Laut Haucap lässt sich das Ziel, bis 2020 die Kohlendioxidemissionen um 40 % zu senken, ohne drastische Preissteigerungen nur im Falle einer Laufzeitverlängerung der Kernkraftwerke erreichen. Nuklearstrom sei eine günstige Grundlastkapazität. Haucap räumte allerdings auch ein, dass eine längere Inbetriebnahme zu einer „Zementierung“ der Marktstrukturen bei konventionellen Energien zulasten des Wettbewerbs führe.

Für den Hannoveraner Oberbürgermeister und Präsidenten des Verbands Kommunaler Unternehmen Stephan Weil (SPD) schadet eine Laufzeitverlängerung hingegen der Energiewende. Die Zukunft liege im Ausbau einer dezentralen Stromerzeugung auf kommunaler Ebene, wobei bei den 750 Stadtwerken die Kraft-Wärme-Kopplung eine große Rolle spiele. Die Stadtwerke mit einem Anteil von bislang 10 % an der Elektrizitätsherstellung wollten ihre Kapazitäten von rund 13000 Megawatt um mehrere Tausend Megawatt erhöhen. Diese Investitionen drohen sich jedoch nicht mehr zu rechnen, wenn sich die mit den neuen Kraftwerken produzierte Elektrizität wegen der längeren Nutzung von Atomstrom nicht mehr verkaufen lasse, kritisierte der SPD-Politiker.

Nach Meinung des Saarbrücker Wirtschaftsprofessors Uwe Leprichs verringert sich der Bedarf an nuklearem Grundlaststrom in dem Maße, wie der Anteil erneuerbarer Energien am Elektrizitätsmarkt steigt. Leprich warf den Konzernen vor, bislang wenig Interesse am Ausbau der erneuerbaren Energien an den Tag zu legen. Der aus solchen Quellen erzeugte Strom steuere bei RWE nur 3,5 Prozent zur Elektrizitätsproduktion bei.

Für Rainer Baake von der Deutschen Umwelthilfe haben die Gründe, die ursprünglich zum Beschluss über den Atomausstieg führten, nach wie vor Gültigkeit: das Risiko eines unbeherrschbaren Unfalls, die ungelöste Entsorgungsfrage und die Furcht vor einer unkontrollierten Weitergabe von nuklearem Material. Zudem müsse man zwischenzeitlich die von möglichen terroristischen Luftangriffen auf Atommeiler ausgehenden Gefahren beachten, so der Sprecher der Umwelthilfe. Vor allem die sieben ältesten Kernkraftwerke, bei denen jetzt eine Laufzeitverlängerung zur Debatte stehe, seien gegen solche Risiken in keiner Weise gesichert.

(Deutscher Bundestag / ml)