DATABUND-Forum 2021: Warum der DATABUND am Bund verzweifelt

Aus Sicht des IT-Mittelstands läuft die Digitalpolitik, wie sie im OZG vorgezeichnet ist, in die falsche Richtung: Der Public Sector ignoriere hartnäckig bewährte Lösungen aus der freien Wirtschaft und finanziere stattdessen teure Eigenentwicklungen – so ein Kernkritikpunkt auf dem DATABUND-Forum 2021.

Mit der Gesamtsituation unzufrieden

Von David Schahinian

„Es hieß immer, die Kommune ist der nächste Weg vom Bürger zu seinem Staat. Das stimmt heute nicht mehr, es ist das Smartphone.“ Das Zitat von Marco Brunzel, Leiter Digitalisierung und E-Government in der Metropolregion Rhein-Neckar, fasst vieles zusammen, was beim zweitägigen DATABUND-Forum 2021 am 3. und 4. Juni 2021 diskutiert wurde. Der Abschied von althergebrachten Strukturen, die erfolgreich waren, aber für die Zukunft nicht mehr tragfähig sind. Der gestiegene Anspruch der Bürgerinnen und Bürger an den Service von Bund, Ländern und Kommunen. Und in der Folge auch die Frage, wer die benötigten Lösungen am besten umsetzen kann. Dass die Meinungen dazu mitunter weit auseinandergingen und kontrovers diskutiert wurden, trug erheblich zum Erfolg und Erkenntnisgewinn der hybrid durchgeführten Veranstaltung bei.

Stephan Hauber, Vorstandsvorsitzender des DATABUND, setzte gleich in seiner eröffnenden Keynote Zeichen: Der IT-Mittelstand werde derzeit in allen Prozessen des Onlinezugangsgesetzes (OZG) ausgegrenzt, so seine These. Das Einer-für-Alle-Prinzip (EfA) bevorzuge radikal Eigenlösungen des öffentlichen Sektors. Als einen Grund dafür führte er an, dass sich die Politik weit von der gelebten Praxis entfernt habe: „Aus der Vogelperspektive wird nur wahrgenommen, wer groß und laut ist. Beides ist der IT-Mittelstand nicht. Aber wie sähe die Welt ohne fleißige Bienen aus?“ Dass mit dem Konjunkturpaket 2020 noch einmal 3 Milliarden Euro zusätzlich für die OZG-Umsetzung bereitgestellt wurden, sieht er gar als kontraproduktiv an: Einerseits sei der Wettbewerb blockiert. Andererseits würden neue Lösungen nach dem Einer-für-Alle-Prinzip mit „völlig überzogenen Budgets“ nachgebaut – einfach deshalb, weil genug Geld da ist. Dass es vielfach bereits erprobte und günstige Alternativen in der freien Wirtschaft gibt, werde ignoriert. Kurz: „Wir als Mittelstand sind ziemlich sauer mit der aktuellen Situation.“ Ohnehin greife das Gesetz, ebenso wie das Schlagwort Digitalisierung, zu kurz. Vielmehr sei eine grundlegende Verwaltungsmodernisierung nötig, die zum Beispiel auch Themen wie Open Source und künstliche Intelligenz (KI) umfasse.

KI kann unterstützen, aber nicht ersetzen

Künstliche Intelligenz war Thema eines eigenen Panels. Die öffentliche Verwaltung wird an KI nicht mehr vorbeikommen, sagte Thomas Patzelt von Teleport. Gleichwohl rede man über eine Technologie, die noch in den Kinderschuhen stecke. In Teilbereichen wie automatisierten Übersetzungen könne sie aber heute schon unterstützen. Frauke Janßen vom Deutschen Städtetag führte später noch die Beispiele Postsortierung und Bilderkennung bei Straßenschäden an. Ihr Verband hat jüngst eine Studie zum kommunalen Datenmanagement veröffentlicht. „Es braucht ein Selbstverständnis für IT in der Verwaltung: KI ist nicht mein Gegner, sondern mein Freund“, fuhr Patzelt fort. Dazu müssten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aber stärker befähigt werden, IT-Themen zu verstehen und mit ihnen umzugehen.

Auch Stefan Wess vom KI-Bundesverband sieht die Technologie nicht als Allheilmittel für die öffentliche Verwaltung, wohl aber als Stütze. Bei vielen einfachen Vorgängen reiche eine Automatisierung aus, während bei komplexen Themenbereichen wie der Doppelbesteuerung der Rente der Sachverstand von Menschen unersetzlich bleibe. „Zwischen diesen beiden Polen spielt oftmals der Ermessensspielraum eine Rolle. Hier kann KI unterstützen.“ Die Hürden für den Einsatz sind allerdings hoch: Während für Unternehmer das Ergebnis zählt, müssen Behörden ihr Handeln und auch den Weg zu Entscheidungen transparent und nachvollziehbar begründen können. Eine Vorgabe, für die die KI-Forschung bis heute noch keine hundertprozentige Lösung gefunden hat.

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Livestreaming aus Berlin: Das DATABUND-Forum 2021 fand virtuell statt. (Bild: Eduard Heilmayr)

Digitalpolitiker werden ausgebremst

Doch zurück zur Rolle des Mittelstands bei der Verwaltungsmodernisierung. Hier dürfte sich manche, die zusahen, ob an Ort und Stelle in Berlin oder zu Hause an den Monitoren, ungläubig die Augen gerieben haben. Denn die Diskussionsrunde zu diesem Thema war sich zu geschätzt 90 % einig, obwohl auf den Stühlen Digitalpolitiker aus so unterschiedlichen Fraktionen wie der Linken, der FDP und der CDU/CSU saßen. Ihnen allen war gemein, dass sie Mitglieder des Digitalausschusses des Deutschen Bundestages und erst 2017 in den Bundestag eingezogen sind. Wie mühsam es ist, in einer solchen Position etwas zu bewegen, skizzierte Thomas Heilmann von der Union am Beispiel der Sozialversicherungen, die alle Anwesenden auf das Open-Data-Prinzip verpflichten wollten. „Das Bundesarbeits- und das Bundesgesundheitsministerium sind aber dagegen, weil die Sozialversicherungen das nicht wollen. Es ist ein Kulturkampf.“

Ein Kampf, der teilweise noch mit Waffen aus der Steinzeit geführt wird. Kernerfolgsfaktor der deutschen Verwaltung sei bis dato ihre radikale Zuständigkeitslogik gewesen. Nun gehe es aber um Kooperation und Vernetzung und nicht um den singulären – und oftmals engen – Blick auf den eigenen Zuständigkeitsbereich. Marco Brunzel äußerte sich ähnlich: „Wir müssen zu einer aufgabenorientierten Arbeitsteiligkeit kommen. Dazu müssen wir uns auch mit datenbasierten Infrastrukturen befassen. Das hat bisher aber noch kein Bundesland auf dem Radar.“

Serie: DATABUND-Forum

  • Teil 1 beginnt 2013 mit den eID-Funktionen des neuen Personalausweises und führt direkt zum Datenschutz. Teil 2 knüpft mit der Frage nach Vertrauen und Sicherheit im Web an und schildert die heftige Diskussion um Standards.
  • 2014 ging es in Köln darum, was Bürger und Unter­nehmen von E-Behörden er­warten und ob die kommunale ITK ent­sprechend aufgestellt ist.
  • 2016 stand die „digitale Gewaltenteilung“ im Fokus, und der DATABUND stellte sein „Hemer Manifest“ vor.
  • 2017 fand das Forum in Hamburg statt: Teil 1 des ausführlichen Vortragsberichts beginnt mit dem Onlinezugangsgesetz, in Teil 2 erklärt dann Prof. Dr. Thorsten Siegel die Konditionen des kommenden Portalverbunds. In Teil 3 holt Stephan Hauber zu einem Rundumschlag aus: Er sagt, wie eine vernünftige Aufgabenstelllung aussehen sollte, und skizziert die weitere Entwicklung auf dem Markt für Kommunalsoftware.
  • 2019 in München waren das Onlinezugangsgesetz und der anvisierte Portalverbund das Hauptthema. Für die Kommunen wird die Umsetzung nicht ganz einfach werden.
  • 2021 ging es bei der virtuellen Veranstaltung in Berlin schwerpunktmäßig um die Digitalisierungsstrategie insgesamt – und darum, wo dabei die Wirtschaft bleibt.

Dass der Mittelstand dabei bislang oft außen vor bleibt, stieß auch hier bei allen Teilnehmenden des Podiums auf Kritik. Das Personal in den Verwaltungen habe in puncto IT oft keine Erfahrungspraxis, erklärte etwa Dr. Anna Christmann (Grüne). Das sei den Menschen aufgrund ihrer Verwaltungslaufbahn auch nicht vorzuwerfen. „Aber die fehlenden Schnittstellen zwischen beiden Sphären sind ein Problem. Wir kommen nicht voran, es dauert sehr lange, und es kostet viel Geld. Das könnte man besser lösen, indem man mehr Akteure aus der Praxis dazu holt.“

Abhängigkeiten vermeiden

Ein Begriff, der während des DATABUND-Forums immer wieder fiel, war „digitale Souveränität“. Warum sie so wichtig ist, skizzierte Dr. Johann Bizer von Dataport. Seit ein, zwei Jahren rückten nämlich zunehmend Handelskriege in den Blickpunkt, während zuvor lange das hohe Lied vom Freihandel gesungen wurde. Kernpunkte einer Strategie gegen zu viele Abhängigkeiten können seiner Auffassung nach sein, IT für eigene Zwecke selbstbestimmt zu gestalten und zu nutzen sowie die Hoheit und Kontrolle über eigene und anvertraute Daten zu behalten. In der Umsetzung bedeute das: Verhandeln, Alternativen schaffen, Kooperation. Das kann beispielsweise so aussehen, wie es Joana Reicherts von Microsoft darstellte. Der Konzern kündigte Anfang Mai 2021 die EU Data Boundary („Datengrenze“) an: „Wir werden Kunden aus dem öffentlichen Sektor und Unternehmenskunden ermöglichen, ihre Daten innerhalb der EU zu verarbeiten und zu speichern. Diese Verpflichtung wird für all unsere Clouddienste gelten.“

In die europäische Kerbe schlägt auch Gaia-X. Die Industrieinitiative will eine souveräne und vielschichtige Dateninfrastruktur für Europa aufbauen, erklärte Tina Siegfried von Dataport. Damit sollen Daten souverän gehandhabt werden und Abhängigkeiten von Hyperscalern reduziert werden. Es gehe zudem vor allem darum, datengetriebene Geschäftsmodelle zu entwickeln. Der Public Sector, räumte sie jedoch ein, sei bei diesem Projekt noch „ausbaufähig“.

Serie: 9. Fachkongress des IT-Planungsrates 2021
Vom Online-Fachkongress am 17. und 18. März 2021 aus Dresden berichtet ein Mehrteiler im MittelstandsWiki: Teil 1 geht mit den Positionen von Ernst Bürger, Jan Pörksen und Dr. Markus Richter das Onlinezugangsgesetz von politischer Seite an. Der Folgebeitrag dreht sich um die konkrete OZG-Umsetzung in den Kommunen. Teil 3 berichtet schließlich von einzelnen Themenfeldern, auf denen bereits Erfolge zu verzeichnen sind.

Viele Vorstellungen, viele Baustellen

Den Abschluss des Forums bildete ein Blick auf die kommunale IT der Zukunft. Ernst Bürger aus dem Bundesinnenministerium wünschte sich etwa, dass Kommunen 2023, „aber gerne auch früher“, mehr Zeit und Ressourcen für ihre ortsnahen Tätigkeiten haben. Regelbasierte Prozesse sollten dann teil- oder vollautomatisiert ablaufen. Zudem konnte er sich künftig mobile Bürgerbüros vorstellen. Der DATABUND-Vorstandsvorsitzende Stephan Hauber bekräftigte im Rückblick auf die Konferenz nochmals seinen Hauptkritikpunkt: „Ich habe gehört, Wettbewerb wäre old school. Damit kann ich überhaupt nicht leben.“ Gleichwohl sieht er auch Handlungsbedarf in den eigenen Reihen: „Wir müssen das, was wir tun, noch viel sichtbarer machen. Da liegt noch viel Arbeit vor uns.“

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David Schahinian arbeitet als freier Journalist für Tageszeitungen, Fachverlage, Verbände und Unternehmen. Nach Banklehre und Studium der Germanistik und Anglistik war er zunächst in der Software-Branche und der Medienanalyse tätig. Seit 2010 ist er Freiberufler und schätzt daran besonders, Themen unvoreingenommen, en détail und aus verschiedenen Blickwinkeln ergründen zu können. Schwerpunkte im IT-Bereich sind Personalthemen und Zukunftstechnologien.

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